Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstmals in zweiter Instanz behauptetes Aufklärungsversäumnis über Behandlungsalternative prozessual unbeachtlich; Schmerzensgeldbemessung bei Fehlplatzierung des Bohrkanals einer Kreuzbandplastik
Leitsatz (amtlich)
1. Hat der Patient in erster Instanz lediglich beanstandet, über ein Operationsrisiko (Arthrofibrose nach Kniegelenksoperation) nicht aufgeklärt worden zu sein, ist die in zweiter Instanz erhobene Rüge, der Arzt habe über eine Behandlungsalternative nicht aufgeklärt, prozessual unbeachtlich, wenn das das neue Vorbringen nicht als bloße Konkretisierung des in erster Instanz behaupteten Aufklärungsdefizits angesehen werden kann (Ergänzung zu BGH VI ZR 396/12).
2. Das stillschweigende Zueigenmachen eines günstigen Beweisergebnisses (BGH VI ZR 325/08) geht nicht so weit, dass der Patient die erstinstanzliche Mitteilung des gerichtlichen Sachverständigen, die Operation hätte durch eine konservative Behandlung vermieden werden können, ohne ausdrückliche Erklärung aufgreift und insoweit konkludent ein Aufklärungsdefizit behauptet.
3. Die geringfügige Fehlplatzierung des Bohrkanals einer Kreuzbandplastik mit dem Erfordernis eines Revisionseingriffs rechtfertigt ein Schmerzensgeld von allenfalls 6.000 EUR.
Normenkette
BGB §§ 253, 249, 276, 280, 611, 813; ZPO §§ 138, 286, 529 Abs. 1 Nr. 2, §§ 530, 531 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Mainz (Urteil vom 22.01.2013; Aktenzeichen 2 O 296/07) |
Tenor
1. Unter Zurückweisung der Berufung des Klägers wird das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Mainz vom 22.1.2013 auf die Anschlussberufung des Beklagten teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
a. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.580,55 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinsatz seit dem 14.7.2007 zu zahlen und den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten von 693,18 EUR gegenüber den Rechtsanwälten K., S., I., H. str. 3 in K. freizustellen.
b. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weiter greifende Anschlussberufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Von den erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits fallen 91,96 % dem Kläger und 8,04 % dem Beklagten zur Last.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, es sei denn der Beklagte leistet vor der Vollstreckung entsprechende Sicherheit.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt den beklagten Orthopäden auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch. Daneben möchte er die Ersatzpflicht des Beklagten für entsprechende weitere Schäden festgestellt haben.
Der 1967 geborene Kläger erlitt bei einem Sportunfall am 16.2.2004 u.a. einen Riss des vorderen Kreuzbandes im linken Kniegelenk. Nach diagnostischer und therapeutischer Arthroskopie am 18.2.2004 implantierte der Beklagte am 17.3.2004 eine Kreuzbandersatzplastik. Der postoperative Verlauf war nicht zufriedenstellend. Andernorts wurde neben einer starken Arthrofibrose eine Fehlplatzierung der Kreuzbandersatzplastik festgestellt. Das führte zu deren Entfernung am 22.6.2004 und letztlich am 26.10.2005 zu einer neuen Kreuzbandersatzplastik.
Der Kläger hat vorgetragen, über das Risiko der Arthrofibrose sei er nicht aufgeklärt worden. Schon am 18.2.2004 habe das Kniegelenk mit einer Kreuzbandersatzplastik versorgt werden müssen. Auch sei dem Beklagten die Fehlplatzierung der am 17.3.2004 eingebrachten Kreuzbandersatzplastik anzulasten. Letztlich sei es in der Nachbehandlung zu Versäumnissen und Fehlern gekommen. All das habe einen Dauerschaden verursacht.
Der Beklagte hat behauptet, den Kläger sachgemäß behandelt zu haben. Mit der Arthrofibrose habe sich ein typisches Risiko des Eingriffs verwirklicht, über das der Kläger auch aufgeklärt worden sei.
Das LG, auf dessen Entscheidung zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, hat Sachverständigen- und Zeugenbeweis erhoben sowie beide Parteien nach § 141 ZPO angehört. Hiernach hat es dem Kläger unter Abweisung der weiter greifenden Klage 8.480,55 EUR nebst Zinsen zuerkannt und den Beklagten außerdem verurteilt, den Kläger von Rechtsanwaltskosten der vorgerichtlichen Vertretung von 825,27 EUR nebst Zinsen freizustellen. Zur Begründung hat das LG ausgeführt, ein Schmerzensgeld von 7.500 EUR schulde der Beklagte nur wegen der fehlerhaften Positionierung der Kreuzbandersatzplastik, die nicht bereits unmittelbar nach dem Unfall habe implantiert werden müssen. Die weiteren Beeinträchtigungen seien der Sportverletzung, vor allem aber der operationsbedingten Arthrofibrose zuzuordnen, ein Risiko, über das der Beklagte den Kläger aufgeklärt habe. Nur den in der Zeitspanne zwischen dem 23.6.2004 und dem 31.12.2005 entstandenen materiellen Schaden von 980,55 EUR müsse der Beklagte erstatten. Der Feststellungsantrag scheitere; Zukunftsschäden seien unwahrscheinlich, nachdem der Kläge...