Entscheidungsstichwort (Thema)
Ärztliche Aufklärungspflicht und hypothetische Einwilligung bei Peritonitis infolge Dislokation einer PEG - Sonde
Leitsatz (amtlich)
1. Der Arzt muss den Patient vor dem Legen einer PEG - Sonde auch über das Risiko einer durch Sondendislokation hervorgerufenen letalen Peritonitis aufklären. Ist die Behandlungsseite vom üblichen Ablauf vor einem derartigen Eingriff erheblich abgewichen, spricht das auch im Aufklärungspunkt gegen eine Patienteninformation "wie gewöhnlich".
2. Zur (hier bejahten) hypothetischen Einwilligung eines durch ein Karzinom schwerstgeschädigten Patienten, dem die Behandlungsseite durch Entlassung mit der PEG - Magensonde ermöglichen will, die Weihnachtsfeiertage ein letztes mal zu Hause im Kreis der Familie zu verbringen.
Normenkette
BGB §§ 249, 253, 276, 278, 280, 611, 823, 1922; ZPO § 286
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 20.02.2013; Aktenzeichen 10 O 123/11) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Koblenz vom 20.2.2013 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, es sei denn, die Beklagte leistet entsprechende Sicherheit.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt als Erbin des am 28.12.2009 verstorbenen Heinz D. (künftig: Patient) das beklagte Krankenhaus auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch. Daneben möchte sie die Ersatzpflicht für entsprechende weitere Schäden festgestellt haben. In erster Instanz hat sie den bei der Beklagten tätigen Ärzten angelastet, am 16.12.2009 eine PEG - Magensonde entweder fehlerhaft platziert oder nicht hinreichend gegen Verschiebung gesichert zu haben. Auch sei der Patient über Risiken des Eingriffs, insbesondere die für seinen Tod ursächliche Peritonitis infolge Dislokation der Magensonde, nicht aufgeklärt worden. Dieser Vorwurf ist allein Gegenstand des Berufungsverfahrens.
Das LG, auf dessen Entscheidung zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, hat Zeugen- und Sachverständigenbeweis erhoben und die Klägerin angehört (§ 141 ZPO). Die Klage ist sodann mit der Begründung abgewiesen worden, der Eingriff sei indiziert gewesen. Die Dislokation nach ursprünglich sachgemäßer Platzierung sei den behandelnden Ärzten nicht anzulasten. Die Entlassung des Patienten am 18.12.2009 und die vorgeschalteten Hinweise seien nicht zu beanstanden. Von einer den Anforderungen entsprechenden Aufklärung des Patienten sei die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme überzeugt. Sehe man hier gleichwohl Defizite, müsse jedenfalls von einer hypothetischen Einwilligung ausgegangen werden.
Mit der Berufung wiederholt die Klägerin ihre Anträge (Bl. 256/257 GA), die Beklagte zu verurteilen,
a. an sie und eine Miterbin ein ab Rechtshängigkeit zu verzinsendes Schmerzens- geld von mindestens 10.000 EUR zu zahlen,
b. an sie eine ab demselben Zeitpunkt zu verzinsende Zahlung von 12.743,19 EUR zu leisten,
c. beginnend ab 1.8.2011 monatlich 670,71 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen an sie zu zahlen.
Daneben möchte die Klägerin die Ersatzpflicht der Beklagten für weitere materielle und immaterielle Schäden festgestellt wissen.
Zur Begründung wiederholt, vertieft und ergänzt die Klägerin ihr Vorbringen zu vermeintlichen Aufklärungsversäumnissen und -defiziten nach Maßgabe der Berufungsbegründung vom 27.5.2013, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten verwiesen wird (256 - 268 GA).
Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Berufung, hilfsweise um Vollstreckungsschutz (Bl. 273 GA).
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf die Berufungserwiderung vom 26.6.2013 (Bl. 277 - 297 GA).
II. Das zulässige Rechtsmittel ist ohne Erfolg. Das LG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Was die auf vermeintliche Aufklärungsversäumnisse fokussierte Berufung dagegen vorbringt, überzeugt im Ergebnis nicht. Im Einzelnen:
1. Die Berufung meint, das LG habe seine Überzeugung, der Patient sei ordnungsgemäß aufgeklärt worden, nicht auf die Aussage der Assistenzärztin Dr. W. stützen dürfen.
Daran ist richtig, dass die protokollierte Aussage dieser Zeugin nichts hergibt zu der Frage, ob der Patient über Risiken des Eingriffs aufgeklärt wurde. Zu Recht lenkt die Berufung den Blick darauf, dass für die Zeugin Dr. W. deren eigenes Interesse an den Einzelheiten der technischen Durchführung des Eingriffs ganz im Mittelpunkt stand. Dementsprechend konnte sie auch nichts dazu bekunden, dass Dr. H. den Patienten über Risiken aufklärte.
Gleichwohl kann der Senat der Berufung nicht darin folgen, die Aussage der Zeugin Dr. W. sei völlig unergiebig. Der Senat entnimmt ihren Bekundungen, dass der Patient zum Zeitpunkt des Gesprächs mit Dr. H. zeitlich und örtlich orientiert war und die Erläuterungen des Arztes aufgenommen und verstan...