Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufklärungspflicht des Augenarztes bei extrem seltenem, aber besonders schwer wiegendem Risiko; richterliche Überzeugung vom Inhalt der Aufklärung
Leitsatz (amtlich)
1. Ist ein augenärztlicher Zweiteingriff (hier: Entfernung des nach einer Netzhautablösung eingebrachten Silikonöls) mit dem sehr seltenen, aber besonders gravierenden Risiko des nahezu vollständigen Verlusts des Sehvermögens behaftet, muss der Patient darüber aufgeklärt werden.
2. Falls der aufklärende Arzt das konkrete Gespräch mit dem Patient nicht erinnert, aber überzeugend schildert, welche Risiken er bei einem derartigen Zweiteingriff immer anspricht, kann das dem Richter die Überzeugung umfassender Aufklärung auch dann vermitteln, wenn die Behandlungsseite zuvor die schriftlich dokumentierte, weniger weitreichende und nach Auffassung des Gerichts unvollständige Aufklärung (hier: bloßer Hinweis auf Gefahr der "Augenverletzung") als ausreichend qualifiziert hatte, der aufklärende Arzt jedoch als Zeuge glaubhaft bekundet, dass er den drohenden Verlust des Sehvermögens stets erwähnt, dies jedoch immer nur mit dem Kürzel "Verl. des Auges" dokumentiert.
Normenkette
BGB §§ 249, 253, 276, 278, 280, 611, 823; ZPO §§ 141, 286, 288, 411
Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 29.04.2015; Aktenzeichen 4 O 506/13) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Trier vom 29.04.2015, Az. 4 O 506/13 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin ist berechtigt, die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten ein in das Ermessen des Gerichtes gestelltes Schmerzensgeld - wobei sie 60.000 EUR für angemessen erachtet -, wegen einer behaupteten fehlerhaften ärztlichen Behandlung und Aufklärung, wobei sie erstinstanzlich auch noch den Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten verlangte.
Aufgrund einer akuten Netzhautablösung rechts wurde am 12.03.2010 im Krankenhaus der Beklagten eine operative Glaskörperentfernung durchgeführt, wobei das rechte Auge mit Silikonöl aufgefüllt wurde. Die Operation verlief komplikationslos. Am 24.09.2010 fand die Silikonölentfernung statt, nachdem die Klägerin am Vortag erneut aufgenommen wurde. Während vor dem zweiten Eingriff noch eine Sehschärfe von 60 % vorlag, betrug diese postoperativ lediglich 2 - 3 %, was die Klägerin auf eine vermeidbare Verletzung des Sehnervs zurückführt. Vor beiden Eingriffen fand jeweils ein Aufklärungsgespräch statt, über dessen Inhalt die Parteien streiten. Die Klägerin wirft der Beklagten vor, auf die Möglichkeit des Verlustes ihres Augenlichtes nicht hingewiesen worden zu sein. Eine Besserung des Zustandes ist nicht mehr zu erwarten.
Das sachverständig beratene LG hat die Klage ohne Zeugenvernehmung oder An-hörung der Klägerin zur Aufklärung abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei ein Behandlungsfehler nicht festzustellen. Der nahezu gänzliche Verlust der Sehschärfe sei schicksalhaft. Es könne im Übrigen dahinstehen, ob eine ordnungsgemäße Aufklärung stattgefunden habe, da jedenfalls von einer mutmaßlichen Einwilligung auszugehen sei.
Hiergegen richtet sich die dem Grunde nach auf den Einwand einer unzureichenden Aufklärung und der Höhe nach auf den immateriellen Schadensersatzanspruch beschränkte Berufung der Klägerin. Das LG verletzte das Selbstbestimmungsrecht der Klägerin, wenn es von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgehe. Dabei sei unerfindlich, woher das LG seine Erkenntnisse beziehe. Es sei lediglich über die Verletzung, nicht aber über den Verlust des Sehvermögens aufgeklärt worden, wie sich aus den Krankenunterlagen ergebe.
Die Klägerin beantragt, unter Änderung des angefochtenen Urteils des LG Trier vom 29.04.2015, 4 O 506/13, die Beklagte zu verurteilen, an sie ein der Höhe nach in das Benehmen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Es habe schon keine Aufklärungspflicht dahin bestanden, dass es bei der Silikonölentfernung aus wissenschaftlich nicht nachvollziehbaren Gründen in äußerst seltenen Fällen zu einem Verlust des Augenlichtes kommen könne. Ungeachtet dessen sei über diese Gefahr aufgeklärt worden.
Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch Vernehmung einer Zeugin und die Klägerin persönlich angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung sowie die zwischen den Parteien im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das LG ...