Leitsatz (amtlich)
Erfolgt bei einer Behandlung in der Notaufnahme keine adäquate Versorgung, wird diese aber unabhängig hiervon zeitgerecht durch einen Drittbehandler vorgenommen (hier: urologische Abklärung innerhalb eines Zeitraums von mehreren Tagen), fehlt es an einer schädlichen Auswirkung der standardwidrigen Versorgung und damit an der haftungsbegründenden Kausalität.
Die Durchführung einer bestimmten dokumentierten Behandlungsmaßnahme kann nicht unter Verweis auf die Abrechnungsunterlagen, in denen die Untersuchung nicht verzeichnet ist, angezweifelt werden, wenn die Abrechnungsaufstellung der Krankenkasse für den gesamten Behandlungstag unergiebig ist, tatsächlich aber unstreitig eine Behandlung an dem Tag stattgefunden hat.
Der Vorwurf gegenüber einem Gynäkologen, ein Krankheitsbild nicht selbst abgeklärt zu haben, ist jedenfalls dann nicht berechtigt, wenn er seine Behandlungspflicht zumindest auch durch die Hinzuziehung des Urologen mit dem Ziel der Befunderhebung zur Entscheidung über das weitere Vorgehen erfüllen konnte (hier: Abklärung einer Blasenverletzung). Auf die Entscheidung des Urologen über das zur Diagnostik Erforderliche darf der Gynäkologe grundsätzlich vertrauen.
Das Urteil ist rechtskräftig. Der BGH hat die Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom 9.1.2018 - VI ZR 138/17 zurückgewiesen.
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 16.12.2015; Aktenzeichen 10 O 26/13) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 16. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages, soweit nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt von den Beklagten immateriellen und materiellen Schadensersatz wegen standardwidriger Vorgehensweise sowie unzureichender Aufklärung im Zusammenhang mit der Durchführung einer Hysterektomie und der sich anschließenden Behandlung.
Die 1958 geborene Klägerin befand sich im Jahr 2010 langjährig beim Beklagten zu 3) in gynäkologischer Behandlung. Dieser ist ambulant bei der Beklagten zu 2) tätig und zugleich Belegarzt im ...-Krankenhaus in Z. der Beklagten zu 1).
Am 6. Juli 2010 erörterte der Beklagte zu 3) mit der Klägerin den beschwerdebedingt indizierten und von ihr gewünschten Eingriff einer Hysterektomie. Die Klägerin unterzeichnete am 10. Juli 2010 den ihr überlassenen Aufklärungsbogen (Bl. 54 bis 57 der Anlagenmappe). Die Durchführung des Eingriffs erfolgte am 14. Juli 2010 durch den Beklagten zu 3) als Belegarzt in der Klinik der Beklagten zu 1). Am Abend des Folgetages trat bei der Klägerin Temperatur von 38,7° Celsius auf, weshalb am 16. Juli 2010 eine Antibiose eingeleitet und ein Blutbild veranlasst wurde. Am 21. Juli 2010 wurde die Klägerin entlassen.
Zur Nachsorge suchte die Klägerin am 26. Juli 2010 den Beklagten zu 3) auf. Am Folgetag begab sie sich zum Beklagten zu 4) zur urologischen Behandlung. Die Dokumentation des Beklagten zu 4) weist für diesen Tag die Durchführung einer Sonographie und Röntgenkontrolle mit Kontrastmittelapplikation aus. Am 29. Juli 2010 stellte sich die Klägerin nochmals zur gynäkologischen Untersuchung beim Beklagten zu 3) vor. Für diesen Tag wurden eine Spekulumuntersuchung mit trockenem vaginalem Stumpf und Urinabgang durch die Harnröhre bei Druck auf die Blase dokumentiert. Nach einem stationären Aufenthalt wegen anderweitiger Krankheitsbilder im Verbundkrankenhaus B. in der Zeit vom 10. August bis 27. August 2010 erfolgte am 2. September 2010 eine erneute Vorstellung beim Beklagten zu 3), der einen feuchten vaginalen Stumpf feststellte und daher zur Verdachtsdiagnose einer Scheiden-Blasen-Fistel gelangte. Daraufhin stellte sich die Klägerin am 7. September 2010 erneut beim Beklagten zu 4) zur urologischen Behandlung vor. Es erfolgte die Abnahme einer Urinkultur. Weitere Termine beim Beklagten zu 4) am 21. September und 2. November 2010 nahm die Klägerin nicht wahr.
Eine Retroskopie im Klinikum I. im Dezember 2010 ergab eine Scheiden-Blasen-Fistel. Am 29. Dezember 2010 erfolgte operativ der Verschluss der Fistel.
Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, der Beklagte zu 3) habe sie über die Risiken der Hysterektomie unzureichend aufgeklärt. Die Operation sei fehlerhaft durchgeführt worden, da es zu einer Blasenverletzung gekommen sei. Sowohl die stationäre als auch die ambulante postoperative Versorgung durch den Beklagten zu 3) sei unzureichend. Bereits der Temperaturanstieg am 16. Juli 2010 habe Anlass zu weiteren Kontrollen gegeben. In der Nacht zum 24. Juli 2010 habe sie zudem unkontrolliert Urin verloren und sich daher in der Notaufnahme der Beklagten zu 1) vorgestellt, wo jedoch nur eine Urinabgabe veranlasst worden se...