Entscheidungsstichwort (Thema)

Verbleibendes Wohnrecht des über ein Hausgrundstück verfügenden Ehegatten ist seinem Vermögen zuzurechnen; keine Unwirksamkeit der Verfügung bei fehlender Kenntnis des Dritten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Ehegatten kann bereits dann von einer Verfügung über das Vermögen im Ganzen ausgegangen werden, wenn er mindestens 85 % weggibt.

2. Überträgt der Ehegatte einem Dritten ein Hausgrundstück, erhält jedoch im Gegenzug ein lebenslängliches, dinglich gesichertes Wohnrecht, ist das bei der Wertberechnung zu berücksichtigen (gegen OLG Celle v. 29.1.1987 - 12 UF 122/82, FamRZ 1987, 942).

3. Unwirksam ist die Vermögensübertragung nur dann, wenn der Dritte weiß, dass der verfügende Ehegatte mindestens 85 % seines Vermögens weggibt.

4. Der Dritte hat darzulegen, welche Vorstellungen er im Einzelnen von der Gesamtvermögenssituation des verfügenden Ehegatten hatte. Erscheint fehlende Kenntnis hiernach plausibel, muss derjenige die subjektive Seite beweisen, der die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts geltend macht.

5. Solange Ehegatten ihre finanziellen Angelegenheiten eigenverantwortlich regeln, besteht kein genereller Erfahrungssatz, dass Kinder über die Vermögenssituation der Eltern informiert sind.

 

Normenkette

BGB §§ 894, 1365-1366, 1368; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Urteil vom 30.01.2007; Aktenzeichen 1 O 253/03)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Koblenz vom 30.1.2007 dahin geändert, dass lediglich die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 663,34 EUR fortbesteht und die Klage im Übrigen abgewiesen wird.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Zwangsvollstreckung kann jeweils gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des Vollstreckungsbetrags abgewendet werden, wenn nicht der vollstreckende Teil Sicherheit in entsprechender Höhe stellt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin ist die Witwe Franz N.'s, der am 9.7.2002 starb. Franz N. wurde zu ½ von der Klägerin und zu je ¼ von dem Beklagten und Rita J. beerbt, die Kinder aus einer anderen Verbindung sind.

Das Erblasservermögen hatte hauptsächlich aus dem hälftigen Miteigentumsanteil an einem Hausgrundstück bestanden, das der Schwester Franz N.'s mitgehört hatte. Das Grundstück war am 20.6.1984 im Rahmen eines Kauf- und Übergabevertrags an den Beklagten aufgelassen und anschließend auf ihn überschrieben worden. Es hatte seinerzeit einen Wert von 270.000 DM. Die Gegenleistung des Beklagten bestand darin, dass er an die Schwester Franz N.'s für deren Anteil ein Entgelt von 153.000 DM zahlte und mit Blickrichtung auf den Anteil Franz N.'s 40.000 DM an Rita J. leistete sowie ein lebenslanges Wohnrecht für Franz N. bewilligte. Das Wohnrecht erstreckte sich auf die gesamte erste Etage des Hauses, einen Kellerraum und eine Garage und schloss darüber hinaus die Mitbenutzung bestimmter weiterer Räume und Anlagen ein. Die Zustimmung der Klägerin zu dem Vertrag vom 20.6.1984 wurde nicht eingeholt.

Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit beantragt, die Unwirksamkeit dieses Vertrags festzustellen und den Beklagten dazu zu verurteilen, der Eintragung eines Widerspruchs gegen seine Grundbuchberechtigung zuzu-stimmen. Nach dem Vorbringen der Klägerin machte der auf den Beklagten übertragene Grundstücksmiteigentumsanteil praktisch das gesamte Vermögen Franz N.'s aus. Das hat der Beklagte geleugnet. Dabei hat er auf im Wesentlichen ererbte Gelder von insgesamt mehr als 10.000 DM, einen Pkw im Wert von 5.000 DM, eine Münzsammlung, Schmuck, Möbel, Kapitalversicherungen mit anstehenden Ausschüttungen von nahezu 30.000 DM und Genossenschaftsanteile verwiesen, die Franz N. mit etwa 10.000 DM beziffert habe.

Das LG hat über die Vermögenssituation Franz N.'s im Zeitpunkt des Übertragungsvertrags Beweis erhoben. Danach hat es das Klagebegehren zuge-sprochen und den Beklagten außerdem antragsgemäß zur Zahlung von 663,34 EUR verurteilt, weil die Klägerin Nachlassschulden getilgt habe und insoweit in Höhe der Erbquote des Beklagten Rückgriff nehmen könne. Das LG hat gemeint, dass Franz N. durch die Übertragung seines Grundstücksanteils mehr als 85 % seines Vermögens aus der Hand gegeben habe und dies dem Beklagten bekannt gewesen sei. Deshalb habe der Vertragsschluss mangels Zustimmung der Klägerin nicht wirksam werden können.

Diese Entscheidung, auf die zur weiteren Sachverhaltsdarstellung Bezug zu nehmen ist, greift der Beklagte mit der Berufung an. Er erstrebt die Abweisung der Klage, hilfsweise die Rückgabe des Rechtsstreits in die erste Instanz. Er bringt vor, dass das LG das bei Franz N. verbliebene Vermögen zu gering bemessen und keine tragfähige Grundlage dafür gehabt habe, ihm eine Kenntnis von der wirtschaftlichen Situation Franz N.'s zu unterstellen.

II. Die Berufung hat einen weitreichenden Erfolg. Sie führt zur Abweisung der Klage insoweit, als die Klägerin d...

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