Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Mithaftung des Fußgängers, wenn nicht das Betreten der Fahrbahn sondern Unaufmerksamkeit des Radfahrers wesentliche Ursache für dessen Sturz war; schädliches Berufungsvorbringen durch Aufgreifen einer vermeintlich günstigen Zeugenaussage
Leitsatz (amtlich)
1. Konnte ein Radfahrer mit einer Ausgangsgeschwindigkeit von ca. 14 Km/h problemlos vor einem Fußgänger anhalten, der bereits fast die gesamte Fahrbahn überquert hatte, ist der gleichwohl auffahrende zweite Radfahrer für den Unfall weit überwiegend selbst verantwortlich, wenn er ebenfalls rechtzeitig bremsen oder problemlos an dem rechts stehenden Fahrrad links vorbeifahren konnte.
2. Einer Wiederholung der Beweisaufnahme bedarf es nicht, wenn der in erster Instanz Obsiegende sich in zweiter Instanz die Aussage eines Zeugen umfassend zu eigen macht, nach dessen Unfallschilderung die Klage sich als insgesamt unbegründet erweist.
Normenkette
BGB §§ 249, 253-254, 823; StVO §§ 1-2, 3 Abs. 1 S. 1, § 3 S. 2, § 4 Abs. 1, § 25; ZPO §§ 139, 253, 286, 398, 521 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 23.04.2012; Aktenzeichen 4 O 275/11) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Grund- und Teilurteil des LG Trier vom 23.4.2012 teilweise geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt als Alleinerbin ihres am 19.11.2010 verstorbenen Vaters die minderjährige Beklagte wegen eines Verkehrsunfalls vom 21.7.2010 auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch.
Am Unfalltag trug die 1995 geborene Beklagte mit einer Freundin in der Ortslage M. Zeitungen aus. Sie betrat die Fahrbahn zumindest einen Schritt weit, um auf die andere Straßenseite zu gelangen, als von rechts der Zeuge M. und der Erblasser hintereinander fahrend mit ihren Fahrrädern herannahten. Der vorausfahrende Zeuge M. bremste sein Rad stark ab, der nachfolgende Erblasser stieß gegen das Rad des Zeugen, wodurch er auf die Fahrbahn stürzte und schwerste Verletzungen, insbesondere am Kopf, erlitt.
Nach Maßgabe eines 50%igen Mitverschuldens hat die Klägerin ein auf mindestens 10.000 EUR beziffertes ererbtes Schmerzensgeld und die hälftigen Beisetzungskosten verlangt. Dazu hat sie in erster Instanz vorgetragen, die Beklagte habe in Richtung der beiden Radfahrer geschaut und diese wahrgenommen. Gleichwohl sei sie auf die Fahrbahn gelaufen. Dieses verkehrswidrige Verhalten habe den Zeugen M. zu der starken Bremsung gezwungen.
Die Beklagte hat erwidert, sie habe die Fahrbahn lediglich einen Schritt weit betreten und sei sofort wieder zurückgewichen, als sie die beiden mit mindestens 30 km/h herannahenden Radfahrer wahrgenommen habe. Der Vorausfahrende habe gleichwohl durch eine Vollbremsung völlig überreagiert. Der von der Heftigkeit des Bremsmanövers überraschte Erblasser sei wegen zu geringen Sicherheitsabstandes und eigener Unaufmerksamkeit aufgefahren.
Das LG, auf dessen Entscheidung zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes ebenso Bezug genommen wird wie auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, hat Zeugen befragt, insbesondere die minderjährige Beklagte, ihre Freundin und den vorausfahrenden Radfahrer M.. Hiernach hat der Einzelrichter die Klage auf anteilige Erstattung der Beerdigungskosten abgewiesen und das Schmerzensgeldverlangen dem Grunde nach zu 40 % für gerechtfertigt erklärt. Die Beklagte habe ihre Pflichten aus § 25 Abs. 3 StVO nicht beachtet, was unfallursächlich geworden sei. Ihre Unfallschilderung sei ebenso unglaubhaft wie diejenige ihrer Freundin. Der Zeuge M. habe sein Rad bis zum Stillstand abbremsen müssen.
Mit der Berufung erstrebt die Beklagte die umfassende Abweisung der Klage. Die aus § 25 Abs. 3 StVO resultierenden Pflichten eines Fußgängers habe das LG überspannt. Nach dem eigenen Prozessvortrag der Klägerin liege ein Verstoß nicht vor. Die Aussage M. habe das LG mit nicht tragfähigen Erwägungen als glaubhaft angesehen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil, insbesondere macht sie sich die Unfallschilderung des Zeugen M. insgesamt zu Eigen.
Die Akten des Ermittlungsverfahrens 8022 Js 19159/10 Staatsanwaltschaft Trier waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auch darauf wird verwiesen.
II. Die zulässige Berufung hat Erfolg; sie führt zur umfassenden Abweisung der Klage.
Der Klägerin steht kein beim Erblasser entstandenes, auf die Anspruchstellerin als Erbin übergegangenes Schmerzensgeld zu, weil ein Fehlverhalten der Beklagten derart geringes Gewicht hat, dass es gegenüber dem weit überwiegenden Verschulden des Verletzten völlig zurücktritt (§ 254 BGB).
Die Berufung wendet sich mit beachtlichen Erwägungen gegen die Beweiswürdigung des Einzelrichters, wonach die Unfallschilderung der beiden minderjährigen Mädchen unglaubhaft bzw. beschönigend sein soll. Vergleicht man deren Aussagen im vorliegenden Rechtsstreit mit der Darstellung ...