Leitsatz (amtlich)
1. Wer zum Zwecke der Gewinnmaximierung bewusst und systematisch Fahrzeuge mit einer verborgenen Abschalteinrichtung in Verkehr bringt, welche auf dem Prüfstand die Stickoxid-Werte im Verhältnis zum normalen Fahrbetrieb optimiert, schädigt i.S.d. § 826 BGB den Erwerber eines hiervon betroffenen Gebrauchtfahrzeugs vorsätzlich und sittenwidrig.
2. Der Schadensersatzanspruch des Geschädigten umfasst die Erstattung eines Betrags in Höhe des aufgewendeten Kaufpreises abzüglich eines Vorteilsausgleichs für gezogene Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an den Schädiger.
3. Der Nutzungsvorteil ist ausgehend vom Bruttokaufpreis unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Gesamtfahrleistung des Fahrzeugs am deutschen Markt und der tatsächlich gefahrenen Kilometer gemäß § 287 ZPO zu schätzen. Vom Schädiger gezogene Nutzungen sind nicht in die Berechnung einzustellen.
4. Ein Anspruch auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 4 % aus dem vollen Schadensersatzbetrag ab dem Tag nach Kaufvertragsschluss ergibt sich in dem Fall aus §§ 849, 246 BGB.
Normenkette
BGB §§ 31, 246, 249 Abs. 1, §§ 826, 849
Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 20.05.2019; Aktenzeichen 5 O 500/18) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Parteien wird das Urteil der 5. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Trier vom 20.05.2019, Az.: 5 O 500/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 28.883,67 EUR nebst 4% Zinsen hieraus vom 21.01.2014 bis 08.01.2019 und Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 09.01.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkws VW Sharan 2.0 l mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer ...
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.145,70 EUR freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen werden die Berufung des Klägers und der Beklagten zurückgewiesen.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 24%, die Beklagte zu 76%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird zugelassen.
VI. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 38.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von der Beklagten im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal Zahlung von Schadensersatz aufgrund Erwerbs eines betroffenen Gebrauchtfahrzeugs.
Am 20.01.2014 kaufte der Kläger bei einem Autohaus den VW Sharan 2.0 l mit der Fahrzeugidentifikationsnummer... zum Preis von 38.000,00 EUR. Für diesen Fahrzeugtyp wurde die Typengenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Der Pkw ist mit einem Dieselmotor Typ EA 189 ausgestattet. Bei diesem Motortyp ist eine Software eingebaut, welche auf dem Prüfstand vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in den stickoxid-optimierten Modus 1 wechselt. Es ergeben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Für die Erteilung der Typengenehmigung war der Stickoxidausstoß im Prüfstand maßgebend. Die Software ist unter anderem auch in den 3l-Motoren der Konzernmarken Audi und Porsche verbaut.
Im September 2015 räumte die Beklagte die Verwendung der Software ein. In der Folgezeit wurde darüber in den Medien ausführlich berichtet. Gegen die Beklagte erging am 15.10.2015 ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrtbundesamts, der auch den Fahrzeugtyp des Klägers betrifft und mit dem der Beklagten unter anderem aufgegeben wurde, die als unzulässige Abschalteinrichtung eingestufte Software zu beseitigen und die Einhaltung der maßgebenden Grenzwerte durch geeignete Maßnahmen zu gewährleisten. Die Beklagte stellte als Problemlösung ein Software-Update vor, durch das die betroffenen Fahrzeuge nur noch im Modus 1 betrieben werden. Dieses Update wurde vom Kraftfahrtbundesamt freigegeben und inzwischen auch auf das klägerische Fahrzeug aufgespielt.
Mit Anwaltsschreiben vom 27.09.2018 (Anlage K20) machte der Kläger gegenüber der Beklagten einen Schadensersatzanspruch in Höhe des Kaufpreises geltend und forderte sie zur Zahlung bis 11.10.2018 auf. In der Klageschrift, der Beklagten zugestellt am 08.01.2019, bot er ihr die Rückgabe des Fahrzeugs an und forderte sie auf, das Fahrzeug an seinem Wohnsitz abzuholen.
Der Kilometerstand des Fahrzeugs betrug im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz 75.290 km und zweiter Instanz 79.572 km.
Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, hätte er vom Vorhandensein der Manipulationssoftware gewusst, hätte er das Fahrzeug nicht erworben.
Die Software sei um das Jahr 2006 mit Billigung unter anderem des jeweiligen Leiters der Abteilung Motorenentwicklung bei der Beklagten und des Abteilungsleiters ...