Leitsatz (amtlich)
1. Die Verjährung eines Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal beginnt in Fällen, in denen der Anspruch auf die Manipulation des Motors EA 189 gestützt wird und sich gegen die Herstellerin des Motors richtet, die jedoch nicht zugleich Herstellerin des betroffenen Fahrzeugs ist, nicht kenntnisunabhängig mit Ablauf des Jahres 2015 zu laufen (Abgrenzung zu Senat, Urt. v. 30. Juni 2020, 3 U 1785/19). Denn den Fahrzeugkäufern mussten sich die jeweiligen Verantwortlichkeiten für Motor- und Fahrzeugherstellung innerhalb des Konzerns jedenfalls im Jahr 2015 noch nicht aufdrängen.
2. Auch dann, wenn die durch das Inverkehrbringen eines mit einer unzulässigen, verborgenen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs geschädigte Käuferin zur Finanzierung des Fahrzeugkaufs ein Darlehen in Höhe des vollen Kaufpreises aufnimmt, steht ihr aus § 849 BGB ein Anspruch auf Zahlung von Deliktzinsen zu. Denn sie hat durch den Abschluss des ungewollten Kaufvertrags nebst Kfz-Finanzierung eine anderweitige Nutzungs-/Anlagemöglichkeit der zur Darlehenstilgung verwendeten Beträge verloren.
3. Den im Rahmen des Dieselskandals geschädigten Käufern steht wegen des Verlusts der anderweitigen Nutzungsmöglichkeit des zum Fahrzeugerwerb aufgewendeten Betrags ein Anspruch auf Verzinsung der Kaufpreises gemäß § 849 BGB zu. Diese verlorene Nutzungsmöglichkeit wird nicht bereits beim Fahrzeugerwerb dadurch voll kompensiert, dass der Kläger das Fahrzeug nutzen kann. Die durch die Fälschung verursachte Einbuße kan vielmehr durch die tatsächlich erfolgte Nutzung des Fahrzeugs erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung ausgeglichen werden. Daher richtet sich der zu verzinsende Betrag sowohl beim Anspruch aus § 849 BGB als auch bei einer Verzinsung nach §§ 291, 288 BGB nach dem um den Nutzungsersatz reduzierten Kaufpreis.
4. Im Rahmen der Verzinsung ist die Wertreduzierung durch den anzurechnenden Nutzungsersatz grundsätzlich taggenau zu berücksichtigen. Bei einer - regelmäßig anzunehmenden - linearen Verzinsungswertentwicklung kann jedoch stattdessen unter Anwendung von § 287 ZPO zur Vereinfachung der Berechnung einer gleichmäßige Verzinsung aus dem mittleren Verzinsungswert angenommen werden.
5. In den Fällen des sogenannten Dieselskandals fehlt für einen Antrag auf Feststellung, dass die Forderung auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruht, das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Denn die erleichterte Vollstreckungsmöglichkeit nach § 850f ZPO sowie die Ausnahme von der Restschuldbefreiung gemäß § 302 Nr. 1 InsO bestehen bei Ansprüchen gegen juristische Personen nicht.
6. Berücksichtigt ein Kläger den von ihm zu leistenden Nutzungsersatz im Klageantrag nicht als Abzugsposition, sondern als Zug-um-Zug-Leistung, ist der Nutzungsersatz gleichwohl bei der Streitwertfestsetzung wertmindernd zu berücksichtigen (Anschluss an OLG Bamberg, Bes. v. 3. Juli 2019 - 4 W 46/19, juris = BeckRS 2019, 13388).
Normenkette
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, §§ 288, 291, 826, 849
Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 09.10.2019; Aktenzeichen 5 O 144/19) |
Tenor
I. Auf die Berufung beider Parteien wird das Urteil der 5. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Trier vom 09.10.2019, Az.: 5 O 144/19, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.955,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus 20.856,43 EUR für die Zeit vom 16.11.2009 bis zum 15.05.2019 und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 14.589,33 EUR für die Zeit vom 16.05.2019 bis zum 08.06.2020 sowie aus 13.955,80 EUR seit 09.06.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des
Pkws Audi A 3 TDI mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer W nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, den Zulassungsbescheinigungen Teil 1 und 2 sowie dem Serviceheft.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.029,35 EUR freizustellen.
3. Es wird festgestellt, dass die Hauptsache in Höhe eines Teilbetrags von 417,64 EUR erledigt ist.
4. Der Antrag auf Feststellung, dass der im Antrag zu 1) bezeichnete Anspruch auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruht, wird als unzulässig verworfen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen werden die Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 17 % und die Beklagte zu 83 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 16 % und die Beklagte zu 84 %.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Der Streitwert wird für den ersten Rechtszug ...