Leitsatz (amtlich)
1. Die Verjährung eines Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal wird durch eine noch im Jahr 2018 vorgenommene Anmeldung dieses Anspruchs zum Musterfeststellungsverfahren wirksam gehemmt.
2. Der Wechsel von der Teilnahme an der Musterfeststellungsklage zur Individualklage ist ausdrücklich gesetzlich vorgesehen (z.B. in § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB, § 613 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Es verstößt daher - jedenfalls ohne Hinzutreten weitergehender erheblicher Indizien - nicht gegen § 242 BGB, sich im Rahmen einer später erhobenen Individualklage auf die Verjährungshemmung durch den kurz vor Verjährungseintritt erfolgten Beitritt zur Musterfeststellungsklage zu berufen.
3. Auch dann, wenn die durch das Inverkehrbringen eines mit einer unzulässigen, verborgenen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs geschädigte Käuferin zur Finanzierung des Fahrzeugkaufs ein Darlehen in Höhe des vollen Kaufpreises aufnimmt, steht ihr aus § 849 BGB ein Anspruch auf Zahlung von Deliktzinsen zu. Denn sie hat durch den Abschluss des ungewollten Kaufvertrags nebst Kfz-Finanzierung eine anderweitige Nutzungs-/Anlagemögllichkeit der zur Darlehenstilgung verwendeten Beträge verloren.
4. Die Höhe des gemäß § 849 BGB zu verzinsenden Betrags ist jedoch nicht für den gesamten Zinszeitraum mit der vollen Darlehenssumme anzusetzen. Denn der aus der Sachentziehung entstandene Schaden realisiert sich bei Finanzierungskäufen erst mit den jeweils gezahlten Darlehensraten und reduziert sich sukzessive um den im Wege der Vorteilsanrechnung auszugleichenden Nutzungsersatz.
5. Im Rahmen der Verzinsung nach § 849 BGB sind Wertschwankungen (z.B. durch Tilgung von Darlehensraten oder anzurechnenden Nutzungsersatz) grundsätzlich taggenau zu berücksichtigen. Bei einer linearten Verzinsungswertentwicklung kann stattdessen unter Anwendung von § 287 ZPO zur Vereinfachung der Berechnung eine gleichmäßige Verzinsung aus dem mittleren Verzinsungswert angenommen werden.
6. Macht das teilweise Unterliegen einer Partei mit einer geltend gemachten Nebenforderung mehr als 10 % des fiktiven Streitwerts aus geltend gemachter Hauptforderung plus Nebenforderungen aus, ist dieses Teilunterliegen bei der Bildung der Kostenquote gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO zu berücksichtigen (Anschluss an OLG Frankfurt, Urt. v. 7. Mai 2014 - 1 U 130/13, juris Rn. 53 m.w.N. = BeckRS 2014, 10599).
Normenkette
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 S. 2, § 613 Abs. 1 S. 2, §§ 826, 849
Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 27.12.2019; Aktenzeichen 5 O 289/19) |
Tenor
I. Auf die Berufung beider Parteien wird das Urteil der 5. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Trier vom 27.12.2019, Az.: 5 O 289/19, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 21.659,67 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent aus 5.351,85 EUR für die Zeit vom 15.05.2014 bis zum 14.04.2018, aus 24.070,06 EUR für die Zeit vom 15.04.2018 bis zum 08.06.2020 sowie aus 21.659,67 EUR seit dem 09.06.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs VW Eos mit der Fahrzeugidentifikationsnummer W.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den durch die Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 EUR freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen werden die Berufung der Klägerin und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz zu 44 %, die Beklagte zu 56 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 46 % und die Beklagte zu 54 %.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird zu der Frage, ob und inwieweit dem Kläger Deliktszinsen gemäß §§ 849, 246 BGB zustehen, zugelassen.
VI. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 37.564,01 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal Zahlung von Schadensersatz aufgrund des Erwerbs eines betroffenen Neufahrzeugs.
Am 04.02.2014 erwarb die Klägerin, vertreten durch ihren damaligen Ehemann, von einem Kfz-Händler den von der Beklagten hergestellten VW Eos 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer W. zum Preis von 35.564,01 EUR. Für diesen Fahrzeugtyp wurde die Typengenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.
In das Fahrzeug war ein ebenfalls von der Beklagten hergestellter 2-Liter-Motor des Typs EA 189 eingebaut. Dieser Motortyp ist mit einer Software ausgestattet, welche auf dem Prüfstand vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in den stickoxid-optimierten Modus 1 wechselt. Dadurch ergeben sich auf ...