Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzthaftung für Diagnosefehler
Leitsatz (amtlich)
Hat der Arzt den Patienten sorgfältig untersucht, ergänzend alle nach den seinerzeit bestehenden Erkenntnismöglichkeiten gebotenen weiteren diagnostischen Maßnahmen veranlasst und deren Ergebnis zeitnah ausgewertet und vertretbar gedeutet, scheidet eine Haftung wegen eines Diagnoseirrtums aus, wenn die tatsächlich bestehende Appendizitis nicht erkannt wird.
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 16.09.2005; Aktenzeichen 10 O 84/04) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird die Klage unter Aufhebung des Urteils der 10. Zivilkammer des LG Koblenz vom 16.9.2005 abgewiesen; die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Klägerin zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann jedoch die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des Vollstreckungsbetrags abwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor entsprechende Sicherheit stellen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die seinerzeit 15-jährige Klägerin suchte am 25.7.2003 als Privatpatientin die allgemeinärztliche Praxis der Beklagten auf und klagte über Bauchschmerzen. Nach einer klinischen Untersuchung, bei der das Abdomen ohne Druckschmerz war, und einer Sonographie, die keine besonderen Erkenntnisse vermittelte, stellte die Beklagte zu 2) die Diagnose einer Gastroenteritis und verschrieb das Schmerzmittel Novalgin. Der Beklagte zu 1) bestätigte den Befund und verordnete ergänzend ein Medikament zur Behandlung von Magen- und Darmstörungen.
Am 28.7.2003 erschien die Klägerin erneut. Sie wies auf starke Schmerzen, Fieber und Erbrechen hin. Während das Abdomen weiterhin druckschmerzfrei war, gab es über dem rechten Nierenlager einen leichten Klopfschmerz. Eine Urinanalyse zeigte ein infektiöses Geschehen an. Im Hinblick darauf diagnostizierte der Beklagte zu 1) einen fieberhaften Harnwegsinfekt. Zur Therapie injizierte er ein Mittel gegen Erbrechen und leitete eine Antibiose ein. Daneben veranlasste er eine Blutuntersuchung.
Deren Ergebnisse lagen den Beklagten am 30.7.2003 vor. Sie bestätigte, dass ein entzündlicher Prozess im Gange war. Ob sich die allgemeine Situation zwischenzeitlich weiter verschlechtert hatte, ist im Streit. Die Klägerin behauptet, ihre Mutter habe dem Beklagten zu 1) von einer Verschlimmerung der Beschwerden berichtet; die Beklagten leugnen das. Eine klinische Untersuchung vom 31.7.2003 brachte keine neuen Erkenntnisse von Gewicht. Der Bauch war weich und ohne Druck - oder Loslassschmerz. Im Bereich des linken Nierenlagers fand sich ein diskreter Klopfschmerz. Der sonographische Befund war unergiebig. Als der Beklagte zu 1) im weiteren Verlauf des Tages über einen Fieberanstieg informiert wurde, wandte er sich an das örtliche Krankenhaus, wo man die Aufnahme der Klägerin für den 1.8.2003 vorsah.
Dort wurde die Klägerin dann in der Inneren Abteilung und daraufhin auch noch in der Chirurgie untersucht. Ein verlässlicher Befund ergab sich dabei nicht. Schließlich zeigte eine in der Gynäkologie mit dem Verdacht auf eine Ovarialzyste durchgeführte Bauchspiegelung, dass es zu einer von einem perityphlitischen Abszess begleiteten Appendix-Perforation gekommen war. Daraufhin erfolgten operativ eine Appendektomie und eine Peritoneallavage. Wegen einer perisistierenden Peritonitis mussten sich am 7. und am 14.8.2003 zwei weitere laparatomische Eingriffe anschließen. In diesem Zusammenhang wurde die Klägerin auf die Intensivstation verlegt, wo sie bis zum 27.8.2003 verblieb, ehe sie am 16.10.2003 aus dem Krankenhaus entlassen wurde.
Die Klägerin hat den Beklagten diagnostische Versäumnisse und eine verspätete Einweisung in das Krankenhaus vorgeworfen. Deshalb hätten sie die Perforation und die nachfolgende Peritonitis mit den daraus erwachsenden Beschwernissen zu verantworten. Sie sei in einen anhaltend schlechten Allgemeinzustand geraten und multipel geschädigt. Aufgrund der weit reichenden Operation hätten sich hässliche Narben gebildet, die durch plastisch-chirurgische Eingriffe beseitigt werden müssten. Vor diesem Hintergrund hat sie die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines mit wenigstens 20.000 EUR zu bemessenden Schmerzensgelds und die Feststellung beantragt, dass sie für alle aus ihrer Nachlässigkeit herrührenden Schäden aufzukommen hätten.
Das LG hat diesem Begehren mit der Maßgabe stattgegeben, dass es das Schmerzensgeld auf 12.000 EUR begrenzt hat. Es hat unter Bezugnahme auf ein von ihm eingeholtes schriftliches und dann mündlich ergänztes Sachverständigengutachten gemeint, dass die Beklagten die zu Gebote stehenden diagnostischen Möglichkeiten schuldhaft nicht ausgeschöpft hätten. Deshalb sei ihnen anzulasten, dass es zu einer Perforation des Appendix und daran anknüpfend zu einer Peritonitis gekommen sei. Dadurch habe die Klägerin erhebliche Beeinträchtigungen hinnehmen müssen.
Gegen diese Entscheidung wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung. Sie rügen eine u...