Entscheidungsstichwort (Thema)

Dokumentationspflicht des Zahnarztes und Verjährungsbeginn

 

Leitsatz (amtlich)

1. Den für eine zahnärztliche Maßnahme (hier: Überkronung) maßgeblichen interventionspflichtigen Ausgangsbefund hat der Zahnarzt zu dokumentieren. Fehlt es daran, kann das zu einer Beweislastumkehr führen.

2. Die für den Verjährungsbeginn nach § 852 BGB a.F. maßgebliche Kenntnis hat der Patient erst, wenn ihm bewusst wird, dass der Schaden nicht Ausfluss des allgemeinen Krankheitsrisikos ist, sondern auf einem Fehler des Arztes beruht.

3. Zur Schmerzensgeldbemessung bei einer nicht gebotenen Gesamtverblockung mehrerer Zähne mit dem Erfordernis, die gesamte Prothetik neu anzufertigen.

 

Normenkette

BGB §§ 611, 823, 847, 852 a.F.

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Urteil vom 14.10.2005; Aktenzeichen 10 O 3/04)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 14.10.2005 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des LG Koblenz wird in Änderung der dort getroffenen Kostenentscheidung zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz die Klägerin 7/13 und die Beklagten als Gesamtschuldner 6/13 zu tragen haben.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin beansprucht von den beklagten Zahnärzten die Zahlung von Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 20.000 EUR und den Ersatz materiellen Schadens i.H.v. 4.491,64 EUR wegen einer, wie sie behauptet, fehlerhaften zahnärztlichen Behandlung in der Zeit von 1998 bis zum 23.1.2001.

Die Beklagten erneuerten bei der Klägerin die Brücke zwischen den Zähnen 23 und 26 und überkronten die Zähne 11-26. Sämtliche Zähne wurden vollständig verblockt.

Die Klägerin hatte in der Folgezeit erhebliche Beschwerden und wechselte den Behandler. Der Zahnarzt H.T. stellte für seine Leistungen 4.319,66 EUR in Rechnung.

Im von der Klägerin angestrengten selbständigen Beweisverfahren stellte der Sachverständige Dr. K. verschiedene fachliche Mängel fest. Auf den Inhalt des Gutachtens vom 15.8.2002 wird Bezug genommen.

Das LG hat nach weiterer Beweiserhebung ein Schmerzensgeld i.H.v. 7.000 EUR zugesprochen und den Anspruch auf Ersatz materiellen Schadens weitgehend für gerechtfertigt erachtet.

Gegen das Urteil des LG richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie halten die Einrede der Verjährung aufrecht und sind der Auffassung, die Überkronung und Verblockung der Zähne sei lege artis zulässig und angezeigt; das zugesprochene Schmerzensgeld sei übersetzt und die vorgelegten Rechnungen belegten die Behandlungskosten nicht; die Kostenentscheidung des LG sei unzutreffend.

Der Senat hat den Sachverständigen angehört. Auf den Inhalt des Protokolls vom 18.5.2006 wird verwiesen.

II. Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

Das LG hat aus im Wesentlichen zutreffenden rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz zuerkannt. Auf die Entscheidung wird vorab Bezug genommen.

Das Berufungsvorbringen rechtfertigt - im Ergebnis - keine andere Beurteilung.

1. Die von den Beklagten erbrachten zahnärztlichen Leistungen weisen Behandlungsfehler auf.

a) In dem im selbständigen Beweisverfahren eingeholten Gutachten vom 15.8.2002 wird hinsichtlich der Überkronung der Zähne 11, 21 und 22 ausgeführt, wegen mangelnder Dokumentation könne im Nachhinein nicht mehr beurteilt werden, ob die Überkronung der Zähne indiziert gewesen sei. Das wird im Gutachten vom 19.1.2005 dahingehend ergänzt, das Ausmaß der Füllungen alleine stelle keine zwingende Indikation für eine Überkronung dar.

Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen davon aus, dass eine Dokumentationspflicht bestand und dass diese verletzt wurde. Den Arzt trifft die Pflicht, sämtliche für die Behandlung wichtigen Umstände aufzuzeichnen. In die Dokumentation müssen alle wesentlichen diagnostischen und therapeutischen Bewandnisse, Gegebenheiten und Maßnahmen Eingang finden (Laufs/Uhlenbruck/Laufs, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl., § 111 Rz. 3, m.w.N.). Hierbei dient die ärztliche Dokumentationspflicht zuerst dem therapeutischen Interesse des Patienten. Danach bestimmt sich ihr Inhalt und ihr Umfang (Laufs/Uhlenbruck/Laufs, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl., § 111 Rz. 4).

Der Sachverständige hat anlässlich seiner Anhörung substantiiert dargelegt, was zu dokumentieren war und worin die Dokumentationsmängel zu sehen sind.

Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die erheblichen Mängel in der Dokumentation der Klägerin die Beweisführung erleichtern, die Überkronung der Zähne 11, 12 und 22 sei medizinisch nicht indiziert gewesen.

Eine unvollständige oder lückenhafte Dokumentation bietet keine eigenständige Anspruchsgrundlage (BGH v. 6.7.1999 - VI ZR 290/98, MDR 1999, 1265 = NJW 1999, 3408), so dass, für sich gesehen, aus den Dokumentationsmängeln materiell-rechtlich nichts herzuleiten ist.

Für die Zuerkennung von Schmerzensgeld und den Ersatz materiellen Sc...

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