Entscheidungsstichwort (Thema)
Auswirkungen einer bei dem Unterhaltsberechtigten ca. 21 Monate nach Rechtskraft der Ehescheidung ausgebrochenen Erkrankung auf den nachehelichen Unterhalt und Voraussetzungen für den Eintritt des Verzuges
Leitsatz (amtlich)
Eine ca. 21 Monate nach Rechtskraft der Scheidung ausgebrochene Erkrankung kann, auch wenn sie bei Scheidung bereits latent vorhanden gewesen sein sollte, nicht mehr der Ehe zugerechnet werden, weil es am erforderlichen nahen zeitlichen Zusammenhang fehlt.
Besteht jedoch seit Rechtskraft der Scheidung bis zum Ausbruch der zur Erwerbsunfähigkeit führenden Erkrankung ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt, kann sich, auch wenn dieser nicht geltend gemacht wurde, der Anspruch auf Krankenunterhalt hieran anschließen. Dieser Anspruch beschränkt sich aber auf die Höhe, in der der weggefallene Aufstockungsanpruch den nach den ehelichen Lebensverhältnissen bemessenen Gesamtbedarf gedeckt hat (Teilanschlussunterhalt).
Die Differenzmethode dient nicht dazu, ganz geringfügige Einkommensunterschiede auszugleichen. Daher besteht, vergleichbar mit den zu § 323 ZPO entwickelten Rechtsgrundsätzen, kein Anspruch auf Ehegattenunterhalt, wenn sich die Einkommensdifferenz auf weniger als 10 % des Gesamteinkommens beläuft.
Ehegattenunterhalt kann nach § 1585b Abs. 2 BGB erst ab Zugang einer Mahnung, nicht bereits ab dem Anfang des Monats, in dem die Mahnung zuging, gefordert werden, weil § 1613 Abs. 1 S. 2 BGB für den nachehelichen Unterhalt nicht für entsprechend anwendbar erklärt ist.
Normenkette
BGB §§ 1572, 1585b Abs. 2, § 1613 Abs. 1 S. 2; ZPO § 323
Verfahrensgang
AG Montabaur (Urteil vom 14.03.2005; Aktenzeichen 16 F 358/04) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des AG - FamG - Montabaur vom 14.3.2005 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ab August 2004 eine monatliche Unterhaltsrente i.H.v. 116 EUR, zahlbar bis zum 3. Werktag eines jeden Monats im Voraus, sowie einen Unterhaltsrückstand von 276,90 EUR zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden zu 53 % dem Beklagten und zu 47 % der Klägerin auferlegt. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen, mit Ausnahme der Kosten der Wiedereinsetzung, die der Klägerin zur Last fallen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Parteien sind seit 2.7.1997 rechtskräftig geschiedene Eheleute. Sie waren seinerzeit beide vollschichtig berufstätig und haben in einem Scheidungsfolgenvergleich vom 30.6.1997 u.a. vereinbart, dass Ehegattenunterhalt "zur Zeit nicht geltend gemacht" werde.
Die Klägerin ist seit April 1999 wegen eines Bandscheibenleidens arbeitsunfähig erkrankt und bezieht seit August 1999 eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Einen 1999 eingereichten Klageentwurf zur Erhebung einer Stufenklage auf Auskunft und Unterhaltszahlung hat die Klägerin, nachdem ihr die beantragte Prozesskostenhilfe verweigert wurde, nicht weiter verfolgt.
Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt sie den Beklagten erneut auf Zahlung einer Unterhaltsrente ab Mai 2004 in Anspruch. Das FamG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der für die Gewährung von Krankenunterhalt erforderliche Einsatzzeitpunkt sei nicht gewahrt, ihr Unterhalt sei bei Scheidung durch eigene Erwerbstätigkeit nachhaltig gesichert gewesen und sie sei in der Lage gewesen, den Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen durch ihre Vollerwerbstätigkeit und eine Nebentätigkeit selbst zu decken. Ein verbleibender geringfügiger Einkommensunterschied sei nach dem Grundsatz der Eigenverantwortung nicht auszugleichen.
Zur Begründung ihrer gegen dieses Urteil gerichteten Berufung macht die Klägerin geltend, die zur Verrentung führende Krankheit sei bei Scheidung bereits latent vorhanden gewesen; zudem leide sie seit den 80-er Jahren an schwerer Depression und langjähriger Alkoholabhängigkeit. Die Einkommensdifferenz sei auch nicht geringfügig gewesen; das FamG habe sich insoweit verrechnet.
Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist darauf, dass die Klägerin ausweislich eines dem Scheidungsfolgenvergleich vorausgehenden Schriftsatzes seinerzeit über ausreichendes eigenes Einkommen verfügt habe. Hieran müsse sie sich festhalten lassen. Sie habe auch nicht dargetan, dass sie trotz eigener Bemühungen nicht in der Lage gewesen sei, das erforderliche Einkommen selbst zu verdienen. Zudem habe sie über Kapitalzinsen verfügt und sei verpflichtet gewesen, teilweise auf den Stamm ihres Vermögens zurückzugreifen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Erklärungen der Parteien anlässlich der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
II. Die Berufung ist zulässig und weitgehend begründet.
A. Hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung (§ 516 ZPO) ist der Klägerin antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu g...