Leitsatz (amtlich)
1. Deutet das klinische Bild auf einen massiven, bei konservativem Vorgehen möglicherweise irreversiblen Schaden, ist die Operation eines Bandscheibenvorfalls dringend indiziert. Darüer ist der Patient aufzuklären. Unterbleibt die Aufklärung, ist davon auszugehen, dass er sich beratungsgemäß verhalten hätte.
2. Werden Bandscheibenteile, die wahrnehmbar in den Spinalkanal eingedrungen sind, nicht entfernt, liegt darin ein grober Behandlungsfehler. Gleiches gilt für eine Verletzung der Dura an 3 Stellen, die einem erfahrenen Operateur schlechterdings nicht unterlaufen darf.
3. 180.000 EUR Schmerzensgeld bei weitreichenden Lähmungserscheinungen der unteren Körperteile mit Sexualstörungen und depressiven Verstimmmungen.
Verfahrensgang
LG Bad Kreuznach (Urteil vom 28.11.2008; Aktenzeichen 3 O 103/04) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Bad Kreuznach vom 28.11.2008 in Nr. 2 des Tenors dahin geändert, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt werden, an den Kläger 193.484,98 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 7.231,36 EUR seit dem 21.8.2002 und aus 186.253,62 EUR seit dem 6.4.2004 zu zahlen.
Das weitergehende Rechtsmittel der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers werden zurückgewiesen. Damit wird das vorgenannte Urteil in Nr. 1, 3 und 4 des Tenors aufrechterhalten.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 2/9 und die Beklagten als Gesamtschuldner 7/9. Die zweitinstanzlichen Kosten treffen den Kläger zu 1/9 und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 8/9.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann jedoch die Zwangsvollstreckung des vollstreckenden Gläubigers i.H.v. 110 % des Vollstreckungsbetrags abwenden, wenn nicht der Gläubiger Sicherheit in entsprechender Höhe stellt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der damals 56-jährige Kläger wurde am 6.1.2002 in der orthopädischen Abteilung des Krankenhauses der Beklagten zu 1) aufgenommen. Er hatte motorische und sensible Ausfälle in den Unterschenkeln. Ein CT zeigte Bandscheibenschäden an, nämlich einen Massenprolaps bei L 3/4 und eine Protusion bei L 4/5. Man behandelte den Kläger zunächst konservativ. Er erhielt Kortison und ein Schmerzmittel. Als daraufhin mittelfristig keine Linderung der Beschwerden erreicht wurde, erfolgte am 15.1.2002 ein chirurgischer Eingriff, den der Beklagte zu 2) durchführte. Nach dem Vorbringen des Klägers wurden dabei die Bandscheibenvorfälle nur unzulänglich ausgeräumt; der wesentliche, rechts platzierte Teil des Prolapses bei L 3/4 sei überhaupt nicht angegangen worden. Intraoperativ kam es zu einer Duraverletzung, über deren Ausmaß Streit besteht. Während der Kläger von mehrfachen Einschnitten ausgeht, in deren Zuge Nervenwurzeln beeinträchtigt worden seien, sprechen die Beklagten lediglich von einem einfachen Einriss.
Im Anschluss an den Eingriff erfolgte nach der Darstellung der Beklagten zunächst eine Besserung, die der Kläger in dessen geleugnet hat. Seinen Behauptungen zufolge trat schon am 17.1.2002 eine Reithosenanästhesie auf, die den Verdacht auf ein Kaudasyndrom nahelegte. Demgegenüber stellte sich gem. dem Vortrag der Beklagten eine entsprechende Entwicklung erst in der Nacht vom 18. auf den 19.1.2002 ein; jetzt sei es erstmals zu Blasen- und Mastdarmstörungen gekommen. Ein daraufhin gefertigtes CT zeigte einen deutlichen Bandscheibenvorfall bei L 3/4. Dabei handelte es sich nach dem Dafürhalten des Klägers um den verbliebenen ursprünglichen Prolaps, während aus der Sicht der Beklagten ein Rezidiv vorlag, das der Kläger durch unvorsichtige Bewegungen provoziert habe.
Danach wurde der Kläger in eine neurochirurgische Universitätsklinik verbracht, wo ein Revisionseingriff stattfand. Der Operationsbericht spricht von der Entfernung eines "Restsequesters" bei L 3/4 und eines "Resthalbbogens" an L 4 sowie davon, "dass die Dura an mehreren Stellen eingerissen ist".
Der Kläger hat den Beklagten eine fehlerhafte ärztliche Versorgung vorgeworfen. Man habe versäumt, ihn sogleich nach seiner stationären Aufnahme zu operieren. Der dann schließlich am 15.1.2002 durchgeführte Eingriff sei unzulänglich und verletzungsträchtig gewesen. Außerdem habe man auf die danach vorhandenen Ausfallerscheinungen erheblich zu spät reagiert.
In der Folge sieht sich der Kläger dauerhaft neurologisch geschädigt. Er leide unter Blasen- und Darmstörungen, einer Fußheber- und Fußsenkerlähmung, die es ihm unmöglich mache, ohne Hilfsmittel zu gehen oder auch nur zu stehen, und die Gesäßmuskulatur geschwächt habe, habe vielfache Schmerzen, Kältegefühle, eine Errektionsstörung und sei depressiv geworden.
Vor diesem Hintergrund hat er die Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit auf die Zahlung eines mit mindestens 250.000 EUR bezifferten Schmerzensgeldes und einer materiellen Ersatzleistung von 297.509,95 EUR in Anspruch genommen, die einen behaupteten Verdienstausfall, Aufwendungen für eine beh...