Leitsatz (amtlich)
1. Die Ausstattung eines Fahrzeugs mit einer sogenannten schnellen Motorwärmfunktion, die der Reduktion des NOx-Ausstoßes auf dem NEFZ-Prüfstand dient und im realen Straßenverkehr nicht aktiviert wird, weshalb die maßgeblichen Grenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, ist grundsätzlich in gleicher Weise geeignet, einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB zu begründen wie die im Motor EA 189 eingebaute sogenannte Umschaltlogik (Anschluss an OLG Koblenz, 8. Zivilsenat, Urteil vom 05.06.2020, 8 U 1803/19, BeckRS 2020, 17355 Rn. 23 ff.).
2. Ein im Rahmen der Fahrzeugfinanzierung vereinbartes sogenanntes verbrieftes Rückgaberecht, nach dem der Fahrzeugkäufer die Möglichkeit erhält, das Fahrzeug zum Ende des Finanzierungszeitraums an den Vertragshändler zu festgelegten Konditionen zu verkaufen, lässt einen Schaden nicht entfallen. Denn der Schaden liegt in den Fällen des Diesel-Abgasskandals nicht in einem etwaig reduzierten Marktpreis, sondern in dem Eingriff in die Dispositionsfreiheit des Käufers. Je nach Marktentwicklung wäre der geschädigte Käufer andernfalls gehalten, an dem ungewollten Kaufvertrag bis zum Ablauf des Finanzierungszeitraums festzuhalten. Der Eingriff in seine Dispositionsfreiheit würde dadurch nicht beseitigt, sondern perpetuiert.
3. Bei der anzustellenden Gesamtbetrachtung, ob im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkreten Betroffenen diesem gegenüber als nicht (mehr) sittenwidrig zu werten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20 -, juris Rn. 13), kommt es primär auf die Beurteilung des Handelns des Schädigers und nur in zweiter Linie auf die Schutzwürdigkeit des konkreten Geschädigten an. Deshalb ist ein aus moralischer Sicht gänzlich tadelloses Verhalten oder eine Aufklärung, die tatsächlich jeden potenziellen Käufer erreicht und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis der Abschalteinrichtung sicher verhindert, zum Ausschluss objektiver Sittenwidrigkeit nicht erforderlich (Anschluss an BGH, Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20, juris Rn. 16).
4. Tritt der Hersteller nach dem Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Motoraufwärmfunktion an die Öffentlichkeit, informiert er seine Vertragshändler verbunden mit der Maßgabe, potentielle Kunden aufzuklären und ihnen ein Musterschreiben zur Kenntnisnahme und Unterschrift auszuhändigen und erarbeitet er in Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrtbundesamt Maßnahmen in Form eines Software-Update zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustandes, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung zu bannen, stellt dies eine Verhaltensänderung dar, die den Vorwurf eines objektiv sittenwidrigen Handelns entfallen lässt.
Normenkette
BGB §§ 31, 826
Verfahrensgang
LG Mainz (Aktenzeichen 4 O 308/19) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Mainz vom 25.08.2020, Az.: 4 O 308/19, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 25.921,98 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von der Beklagten im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal Zahlung von Schadensersatz wegen des Erwerbs eines betroffenen Gebrauchtfahrzeugs.
Am 11.06.2018 erwarb der Kläger bei einem selbstständigen Vertragshändler der Beklagten einen gebrauchten Q 5 3.0 TDI (Erstzulassung 01.04.2014) zum Preis von 28.700,00 EUR. Für diesen Fahrzeugtyp wurde die Typengenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 6 erteilt.
Zur Finanzierung des Kaufpreises nahm der Kläger bei der A Bank - Zweigniederlassung der V Bank GmbH - ein Darlehen auf. Hinsichtlich des näheren Inhalts des Darlehensvertrags wird auf die Anlage K 5 (Bl. 44 ff. eAkte OLG) Bezug genommen.
In das Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter 3-Liter-Motor eingebaut, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob dieser - wie der Kläger behauptet - die Typenbezeichnung EA 897 oder - wie von der Beklagten vorgetragen - EA 896 Generation 2 trägt. Für Fahrzeuge mit diesem Motor hatte das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) bereits am 23.01.2018 einen Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form der sogenannten schnellen Motoraufwärmfunktion veröffentlicht, da diese Funktion nahezu nur im Prüfstand aktiviert werde und daher im Rahmen des normalen Straßenverkehrs die damit verbundene NOx-Schadstoffminderung unterbleibe. Das von der Beklagten zur Änderung dieser Konfiguration konzipierte Software-Update wurde vom KBA am 26.11.201...