Leitsatz (amtlich)
1. Der Vortrag, es sei noch keine abschließende Entscheidung darüber getroffen, ob der Kläger das Fahrzeug zurückgebe oder behalte, ist nicht geeignet, ein Feststellungsinteresse zu begründen, weil es sich insoweit um einen allein von der Willensentschließung des Klägers abhängigen Umstand handelt, die ihm heute ebenso möglich ist wie in der Zukunft.
2. Eine Aufwärmfunktion, die nahezu ausschließlich unter den Bedingungen im NEFZ-Prüfzyklus zur Anwendung kommt, was durch eine Vielzahl von Initialisierungsparametern, die gleichzeitig vorliegen müssen, sichergestellt ist, stellt sich als objektiv sittenwidrige, unzulässige Abschalteinrichtung dar.
3. Die Sittenwidrigkeit ist - anders als in den Fällen betreffend den Motor EA 189 - nach September 2015 nicht entfallen, denn die hiesige Herstellerin hat ihre strategische unternehmerische Entscheidung, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse das Kraftfahrt-Bundesamt und letztlich die Fahrzeugkäufer zu täuschen, betreffend den streitgegenständlichen Motor bislang nicht durch eine Strategie ersetzt, an die Öffentlichkeit zu treten.
4. Von der üblichen rein linearen Berechnung des Nutzungsersatzes nach gefahrenen Kilometern und technisch möglicher Gesamtlaufleistung kann abgewichen werden, wenn ein Fahrzeug nur in verhältnismäßig geringem Umfang, also mit einer auffallend geringen durchschnittlichen Jahreslaufleistung genutzt wird, so dass innerhalb der Gesamtnutzungsdauer eines Fahrzeugs die grundsätzlich technisch mögliche Gesamtlaufleistung voraussichtlich nicht erreicht wird und die übliche Berechnungsweise die aus der Nutzung des Fahrzeugs gezogenen Vorteile nicht vollständig abbildet.
Verfahrensgang
LG Bad Kreuznach (Aktenzeichen 3 O 196/18) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 13. September 2019, Az. 3 O 196/18, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte zu 2. wird verurteilt, an den Kläger 42.115,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26. Oktober 2018 Zug-um-Zug gegen Übereignung und Übergabe des Pkw VW Touareg Edition V6 3.0 TDI, FIN WVG..., zu zahlen.
2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits sowie die zweitinstanzlichen außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1. trägt der Kläger. Die zweitinstanzlichen Gerichtskosten tragen der Kläger zu 70 % und die Beklagte zu 2. zu 30 %. Die zweitinstanzlichen außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. trägt der Kläger zu 40 %, die zweitinstanzlichen außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte zu 2. zu 30 %. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
IV. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen, soweit zu Lasten der Beklagten zu 2. entschieden worden ist sowie hinsichtlich der Berechnung der Nutzungsentschädigung.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz bzw. Rückabwicklung im Zusammenhang mit dem sogenannten Diesel-Abgasskandal aufgrund des Kaufs eines Reimport-Fahrzeugs in Anspruch. Der Beklagte zu 1. ist Verkäufer des streitgegenständlichen Fahrzeugs, die Beklagte zu 2. ist Herstellerin des im Fahrzeug verbauten Motors.
Mit Kaufvertrag vom 21. Dezember 2016 (Anlage K73 zur Klageschrift) erwarb der Kläger bei dem Beklagten zu 1., einem freien Händler, einen Pkw VW Touareg Edition V6 3.0 TDI zum Kaufpreis von 53.200,00 EUR als sogenanntes Reimport-Fahrzeug, das von dem Beklagten zu 1. für den Kläger nach dessen Vorgaben bei einem Händler im Ausland bestellt und erworben wurde. Hersteller des Pkws ist die Volkswagen AG; der im Fahrzeug befindliche Motor wurde von der Beklagten zu 2. hergestellt. Es handelt sich um einen V6-Zylinder-Dieselmotor mit einem Hubraum von 3,0 Litern, der eine Leistung von 193 kw (262 PS) erbringt. Das Fahrzeug verfügt über eine wirksame EG-Typengenehmigung für die Emissionsklasse E6 und wurde dem Kläger am 5. April 2017 übergeben, wie sich aus Anlage K 74 zur Klageschrift ergibt.
Mit Bescheid vom 08. Dezember 2017 ordnete das Kraftfahrtbundesamt (KBA) einen Rückruf für Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs an und forderte die Herstellerin des Fahrzeugs, die Volkswagen AG, auf, die Vorschriftsmäßigkeit des Fahrzeugs wieder herzustellen. Der Bescheid wurde seitens der Volkswagen AG nicht angefochten und ist bestandskräftig. Als technische Lösung wurde von der Volkswagen AG ein Software-Update entwickelt, welches vom KBA mit Bescheid vom 12. Januar 2018 freigegeben wurde (Anlage B2 bzw. B6 zur Klageerwiderung). Der Kläger ließ das ihm ange...