Entscheidungsstichwort (Thema)
Operationseinwilligung
Leitsatz (amtlich)
Der mit einer bestimmten Operation (hier: Testovarektomie) beauftragte Chirurg darf darauf vertrauen, dass der zuweisende Arzt (hier: Direktor einer Medizinischen Universitätsklinik) die Operationsindikation zutreffend gestellt und der Patienten nach gehöriger Aufklärung über die Sinnhaftigkeit des Eingriffs und die in Frage kommenden Behandlungsalternativen eingewilligt hat.
Zeigt sich allerdings intraoperativ ein Befund (hier: normale weibliche Anatomie mit präpuberalem Uterus und normalen Ovarien, kein Testovar), der durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit der Indikation und/oder der Aufklärung weckt, muss er den Eingriff zur Behebung der Zweifel jedenfalls dann abbrechen, wenn durch dessen Fortführung nicht rückgängig zu machende schwerwiegende körperliche Veränderungen bewirkt werden.
Normenkette
BGB §§ 280, 611, 823
Verfahrensgang
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Grundurteil der 25. Zivilkammer des LG Köln vom 6.2.2008 - 25 O 179/07 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
Gründe
Die im April 1959 geborene Klägerin, die entsprechend ihrem damaligen phänotypischen Erscheinungsbild als Junge aufwuchs, begab sich ab Ende des Jahres 1976 in die Medizinische Klinik des Krankenhauses N. zur Behandlung. Zuvor war im Zusammenhang mit einer im Krankenhaus L. durchgeführte Operation ein Kryptorchismus diagnostiziert worden. Bei der anschließenden klinischen Untersuchung waren jedoch weder im Hodensack noch in der Leistengegend Hoden tastbar. Auch bei der operativen Exploration fanden sich rechts weder Samenstrang noch Hoden, stattdessen ein ovarförmiges Gebilde mit Fimbrien. Auf der linken Seite des Unterbauchs wurde der gleiche Tastbefund erhoben. Die histologische Untersuchung einer Probeentnahme ergab Tube, Ovar und Nebenhoden bzw. ein Kanälchensystem, das einem Nebenhoden entspreche. Nebenbefundlich erfolgte die Diagnose einer Hypospadie. Der Klägerin wurde daraufhin der Befund der Eierstöcke mitgeteilt mit der Einschätzung, dass sie "zu 60 %" eine Frau sei. Eine im Krankenhaus N. im Dezember 1976 erstellte Chromosomenanalyse ergab indessen eine normal weibliche Chromosomenkonstitution (46, XX). Davon erfuhr die Klägerin nichts. Nach weiterer Behandlung und Betreuung in der Medizinischen Klinik des Krankenhauses N. und nachdem die Klägerin, die durch die Befunde stark verunsichert war und sich mit Suizidgedanken trug, wieder weitgehend psychisch stabilisiert war und sich für eine operative Anpassung an ihr phänotypisch männliches Erscheinungsbild entschieden hatte, erfolgte am 12.8.1977 durch den Beklagten, der Facharzt für Urologie und Chirurgie ist und seinerzeit leitender Oberarzt der Chirurgischen Abteilung im Krankenhaus N. war, im Beisein des Oberarztes der Medizinischen Klinik Dr. I. der laparaskopische Eingriff zur laut Anästhesieprotokoll "Testovarektomie". Ausweislich der histologischen Untersuchung des entfernten Gewebes wurde ein 6 × 3 × 2 cm großer rudimentärer atrophischer Uterus mit einem flachen Endometrium, regelrechtem Myometrium und spärlichen Anteilen eines Portioepitels, Ovarialgewebe mit zystischen Follikeln, Primär- und Sekundärfollikeln sowie einzelnen Corpora albicantia entfernt. Männliches Keimdrüsengewebe in Form eines Testovars konnte nicht nachgewiesen werden.
Das LG hat die im Jahre 2007 erhobene Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 100.000 EUR für den nach Auffassung der Klägerin nicht indizierten und mangels Einwilligung rechtwidrigen Eingriff dem Grunde nach stattgegeben, weil der Beklagte die Klägerin mangels wirksamer Einwilligung rechtswidrig in vorsätzlicher und schuldhafter Weise durch die Entnahme der weiblichen Geschlechtsorgane in ihrer Gesundheit verletzt habe.
Mit Verfügung vom 2.7.2008 hat der Senat den Beklagten gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, seine gegen das landgerichtliche Urteil gerichtete Berufung gem. § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt:
"Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Urteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht noch nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsvorbringen nötigt nicht zu weiterer Sachaufklärung oder ergänzender Beweiserhebung.
a) Nach den Angaben in der Behandlungsdokumentation der Medizinischen Klinik über die der Klägerin zuteil gewordene Aufklärung bedarf es keiner näheren Erörterung, dass das Selbstbestimmungsrecht der Klägerin in ganz erheblichem Maße verletzt worden ist. Damit fehlte es an einer wirksamen Einwilligung der Klägerin in die Operation, so dass sie ohne Zweifel rechtswidrig war.
Das führt jedoch noch nicht ohne weiteres zu einer Haftung des Beklagten. Im Ansatz weist der Beklagte nämlich zu Recht darauf hin, dass er sich als letztlich n...