Leitsatz (amtlich)

Zur Erstattung der Reisekosten für den Rechtsanwalt "am dritten Ort" bei Teilfreispruch.

 

Normenkette

StPO § 464a Abs. 2 Ziff. 2; ZPO § 91 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Aachen (Entscheidung vom 11.12.2008; Aktenzeichen 86 KLs 11/08)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Staatskasse zur Last.

 

Gründe

I.

Der früheren Angeklagten wurde mit Anklage vom 24.04.2008 Betrug in vier Fällen und Steuerhinterziehung in einem Fall zur Last gelegt. Für sie bestellte sich am 09.05.2008 Rechtsanwalt Prof. Dr. A. als Wahlverteidiger. Die frühere Angeklagte ist durch Urteil des Landgerichts Aachen vom 11.12.2008 (86 KLs 11/08) unter Freisprechung im übrigen wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen à 20,-- EUR verurteilt worden. Im Umfang der Freisprechung sind die ihr erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt worden.

Unter dem 22.12.2008 beantragte Rechtsanwalt Prof. Dr. A. die Festsetzung der der früheren Angeklagten für die Wahlverteidigung erwachsenen Auslagen iHv 19.624,56 EUR; darin waren Reisekosten und Abwesenheitsgelder für insgesamt 16 Verhandlungstage enthalten. Diesen Antrag wies die Rechtspflegerin des Landgerichts Aachen mit dem angefochtenen Beschluss teilweise zurück: Erstattungsfähig seien lediglich die Kosten für 15 Informationsfahrten der Angeklagten von ihrem Wohnort H. zu einem ortsansässigen Verteidiger. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der früheren Angeklagten, der die Rechtspflegerin nicht abgeholfen hat.

II.

Die nach § 464 b S.3 StPO, §§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 ZPO, §§ 21 Nr. 1, 11 Abs. 1 RPflG zulässige sofortige Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1.

Über die sofortige Beschwerde hat, obwohl die angefochtene Entscheidung von der Rechtspflegerin erlassen worden ist, der Senat, nicht der Einzelrichter zu entscheiden. Die Vorschrift des § 568 S. 1 ZPO in der ab 01.01.2002 geltenden Fassung (Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.07.2001, BGBl. I S. 1887), die im Zivilprozess für das Beschwerdeverfahren den originären Einzelrichter vorsieht, findet im strafprozessualen Beschwerdeverfahren nach Auffassung des Senats keine Anwendung (SenE v. 05.06.2003 - 2 Ws 317/03 - und SenE v. 23.06.2008 - 2 Ws 268/08).

2.

a)

Nach der Auslagenentscheidung des Urteils vom 11.12.2008 trägt die Staatskasse die notwendigen Auslagen der (früheren) Angeklagten und jetzigen Beschwerdeführerin, soweit diese freigesprochen worden ist. Nach der Rechtsprechung des Senats kann im Falle des teilweisen Freispruchs die Bestimmung der erstattungsfähigen notwendigen Auslagen im Wege der Quotenbildung erfolgen (SenE v. 02.02.2004 - 2 Ws 29/04 = JMBl. NW 2004, 251 = NStZ-RR 2004, 384). Diese Quote ist mit 75% angenommen worden; hiergegen wendet sich die Beschwerde ausdrücklich nicht.

b)

Gemäß §§ 464a Abs. 2 Ziff. 2 StPO, 91 Abs. 2 S. 1 ZPO sind Reisekosten (gleiches hat für die Abwesenheitsgelder zu gelten) eines Rechtsanwalts, der nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und dort auch nicht seinen Wohnsitz hat, nur insoweit von der Staatskasse zu erstatten, als die Zuziehung des Rechtsanwalts zur zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendig war.

aa)

Für die Fallgestaltung, dass der Angeklagte seinen Wohnort am Sitz des Prozessgerichts hat und sich eines auswärtigen Verteidigers bedient, hat der Senat in der Vergangenheit in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass die Zuziehung nur dann als notwendig anzuerkennen ist, wenn das Strafverfahren ein schwieriges und abgelegenes Rechtsgebiet betrifft, deshalb nur ein Anwalt mit besonderen Kenntnissen auf diesem Spezialgebiet zur ordnungsgemäßen Verteidigung in der Lage ist, oder der Beschuldigte, der sich gegen einen Vorwurf mit erheblichem Gewicht (beispielsweise vor dem Schwurgericht) verteidigen muss, zur Verteidigung einen Rechtsanwalts seines Vertrauens heranzieht, zu dem bereits ein gewachsenes Vertrauensverhältnis besteht (SenE v. 05.06.2003 - 2 Ws 317/03; Senat, NJW 1992, 586). Diese Konstellation ist diejenige, welche die Rechtsprechung regelmäßig beschäftigt; auch der Senatsentscheidung vom 05.06.2003 lag eine solche Sachgestaltung zugrunde (s. weiter die Nachweise bei Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflage 2009, § 464a Rz. 12; Gieg in: Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage 2008, § 464a Rz. 12; Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage 2001, § 464a Rz. 46).

bb)

Seit Fortfall des sog. Lokalisierungsgrundsatzes durch das am 01.01.2000 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 02.09.1994 (BGBl. I S. 2278) und dessen Änderungsgesetz vom 17.12.1999 (BGBl. I S. 2448) vertritt der Bundesgerichtshof zur Auslegung des § 91 Abs. 2 ZPO in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass die Zuziehung eines in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsorts ansäs...

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