Leitsatz (amtlich)
Zur Zulässigkeit der Auslieferung eines türkischen Staatsangehörigen an die Türkei zur Strafvollstreckung bei Erhebung von Foltervorwürfen in türkischem Polizeigewahrsam
Tenor
Gründe
I.
Die türkischen Justizbehörden ersuchen mit Verbalnoten der Botschaft der Republik Türkei in Berlin vom 21.10.2009 und 27.01.2010 um die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung.
Gegen den Verfolgten wurde durch Urteil des Schwurgerichts I. vom 05.09.2008 aus vier früheren Verurteilungen wegen Diebstahlstaten sowie wegen Widerstandsleistung eine nachträgliche Freiheitsstrafe von 4 Jahren, 6 Monaten und 9 Tagen gebildet. Außerdem wurde gegen den Verfolgten durch Urteil des Landgerichts für Strafsachen in K. vom 26.04.2006 eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren elf Monaten wegen Diebstahls verhängt. Beide Strafen sind noch voll zu verbüßen. Wegen der angeführten - sämtlich in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen Urteile besteht gegen den Verfolgten ein Haftbefehl der Oberstaatsanwaltschaft I. vom 11.02.2009.
Der Senat hat gegen den Verfolgten am 05.03.2010 einen zunächst nur auf das Urteil des Landgerichts K. vom 26.04.2006 gestützten Auslieferungshaftbefehl erlassen und diesen mit Beschluss vom 07.05.2010 auf die im Urteil der 3. Kammer des Schwurgerichts I. vom 05.09.2008 enthaltene nachträglich gebildete Gesamtstrafe erstreckt. Mit Beschluss vom 26.04.2010 hat der Senat einen Antrag des Verfolgten auf Außervollzugsetzung des Auslieferungshaftbefehls vom 05.03.2010 abgelehnt.
Die türkischen Justizbehörden haben mit Schreiben vom 14.01.2010 und vom 26.04.2010 unter Hinweis auf das türkische Ratifikationsgesetz vom 08.05.1991 Nr. 3732 zum 2. Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen - 2. ZP-EuAlÜbk - mitgeteilt, dass dem Verfolgten mit Zusatzbeschlüssen der zuständigen Gerichte in I., L. und M. vom 29.12.2009, vom 24.02. und 25.02. 2010 sowie vom 01.03.2010 im Falle seiner Auslieferung ein neues Gerichtsverfahren wegen der den Verurteilungen zugrunde liegenden Straftaten gewährt wird.
Der am 15.03.2010 festgenommene und seither in Auslieferungshaft befindliche Verfolgte hat sich bei seiner richterlichen Anhörung vor dem Amtsgericht K. am selben Tage mit einer Auslieferung im vereinfachten Verfahren nicht einverstanden erklärt und auf den Grundsatz der Einhaltung der Spezialität nicht verzichtet. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Akten mit dem Antrag vorgelegt, die Auslieferung für zulässig zu erklären.
Der Verfolgte beantragt, die Auslieferung für unzulässig zu erklären. Er behauptet unter Berufung auf das von ihm eingeholte Privatgutachten des Arztes für Neurologie und Psychatrie Dr. P. vom 14.04.2010, seine Verurteilungen beruhten auf in türkischem Polizeigewahrsam u.a. durch Anwendung der sog. Fallaka, durch Zufügung von Stromschlägen an Genitalien, Zehen und Fingern sowie durch "water-boarding" erfolterten Geständnissen. Zur Verifizierung entsprechender Folterspuren beantragt der Verfolgte eine rechtsmedizinische Begutachtung. Auf Veranlassung des Senats ist der Verfolgte durch den Anstaltsarzt der Justizvollzugsanstalt K. auf das Vorhandensein von äußerlich erkennbaren Spuren von Folterung und Misshandlung untersucht worden. Die türkischen Behörden haben zu den Vorwürfen des Verfolgten mit Schreiben vom 26.07.2010 Stellung genommen und hierzu Unterlagen überreicht. Dazu hat der Verfolgte Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Der Verfolgte vertritt des weiteren die Auffassung, er müsse bei der Entscheidung über das Auslieferungsersuchen einem Inländer gleichgestellt werden.
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist gem. den §§ 32, 15 IRG zu entsprechen. Der Senat entscheidet ohne die vom Beistand beantragte persönliche Anhörung des Verfolgten, zu der kein hinreichender Anlass besteht.
Die von dem ersuchenden Staat vorgelegten Auslieferungsunterlagen rechtfertigen den Antrag. Auslieferungshindernisse bestehen nicht.
1.
Das Auslieferungsersuchen genügt den formellen Voraussetzungen des Art. 12 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13.12.1957 (EuAlÜbk). Die türkischen Justizbehörden haben mit Verbalnoten der Botschaft der Republik Türkei vom 21.10.2009 und 27.01.2010 förmlich um die Auslieferung des Verfolgten nachgesucht und die erforderlichen Unterlagen beigefügt.
Es liegen in beglaubigter Abschrift die in der Beschlussformel näher bezeichneten Strafurteile der türkischen Gerichte vor, aus denen sich die rechtskräftige Verurteilung des Verfolgten zu Freiheitsstrafen von mehr als 4 Monaten ergibt.
Der weiter vorgelegte Haftbefehl der Oberstaatsanwaltschaft I. vom 11.02.2009 ausgestellte Haftbefehl hat die Rechtswirkung einer Haftentscheidung, da er ausdrücklich die Festnahme des Verfolgten anordnet.
2.
Bei den dem Verfolgten zur Last gelegten Taten handelt es sich um eine auslieferungsfähige S...