Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Auslieferung zur Vollstreckung in die Türkei nach dem EuAlÜbK
Leitsatz (amtlich)
Hat der Verfolgte an der Hauptverhandlung teilgenommen und ist lediglich das Urteil in einem gesonderten Termin in seiner Abwesenheit verkündet worden, handelt es sich nicht um ein Abwesenheitsurteil im Sinne von Art. 3 des 2.ZP-EuAlÜbK.
Tenor
Die Auslieferung des türkischen Staatsangehörigen U. zur Vollstreckung der gegen ihn durch Urteil des Schwurgerichts N. vom 04.04.2002 in Verbindung mit dem Zusatzurteil des Schwurgerichts N. vom 15.06.2005 verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat - von der noch 196 Tage zu vollstrecken sind - ist zulässig.
Gründe
I. Die türkischen Justizbehörden ersuchen mit Verbalnote der Botschaft der türkischen Republik in Berlin vom 31.03.2011 um die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung. Der Verfolgte wurde durch Urteil des Schwurgerichts N. - dessen Erlassdatum die türkischen Behörden auf Nachfrage des Senats klarstellend mit dem 4.04.2002 angegeben haben, in Verbindung mit dem Zusatzurteil des Schwurgerichts N. vom 15.06.2005 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat verurteilt, von der unter Anrechnung von Untersuchungshaft noch 196 Tage zu vollstrecken sind. Dem Verfolgten liegt nach den Urteilsfeststellungen eine gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung zur Last. Er soll am 28.03.2000 in N. gemeinsam mit seinem Bruder den Nebenkläger C. mit einer Glasscherbe angegriffen haben, wobei dem Verletzten ein Auge ausgestochen worden sein soll.
Es besteht ein Vollstreckungshaftbefehl der Oberstaatsanwaltschaft N. vom 04.02.2009. Mit Verbalnote der Botschaft der türkischen Republik vom 28.12.2011 sind die anwendbaren Strafgesetze des türkischen Strafgesetzbuches nachgereicht worden.
Der Senat hat am 12.01.2012 einen Auslieferungshaftbefehl erlassen, aufgrund dessen der Verfolgte am 24.01.2012 in Auslieferungshaft genommen wurde. Bei seiner richterlichen Anhörung vor dem Amtsgericht B. am 24.01.2012 hat sich der Verfolgte mit der vereinfachten Auslieferung in die Türkei nicht einverstanden erklärt und auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität nicht verzichtet.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Akten mit dem Antrag vorgelegt, die Auslieferung für zulässig zu erklären. Der Wahlbeistand hat hiergegen mit Schriftsatz vom 13.02.2012 Einwendungen erhoben. Es handle sich bei dem Urteil vom 04.04.2002 um ein Abwesenheitsurteil; er sei nicht durch einen Verteidiger vertreten gewesen. Das Zusatzurteil vom 15.06.2005 sei ebenfalls in seiner Abwesenheit und ohne seine Kenntnis ergangen. Des weiteren seien die anwendbaren Vorschriften zur Verjährung nicht vorgelegt worden und sei die Strafzeitberechnung nicht nachvollziehbar.
II. Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist gem. den §§ 32, 15 IRG zu entsprechen. Die von dem ersuchenden Staat vorgelegten Auslieferungsunterlagen rechtfertigen den Antrag. Auslieferungshindernisse bestehen nicht. Die Einwendungen des Verfolgten gegen seine Auslieferung greifen nicht.
1. Das Auslieferungsersuchen genügt den formellen Voraussetzungen des Art. 12 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13.12.1957 (EuAlÜbk). Die türkischen Justizbehörden haben mit Verbalnote der Botschaft der Republik Türkei vom 31.03.2011 förmlich um die Auslieferung des Verfolgten nachgesucht und die erforderlichen Unterlagen vorgelegt.
Dem Ersuchen sind beigefügt in je beglaubigter Abschrift das Urteil des Schwurgerichts N. vom 04.04.2002, das Zusatzurteil des Schwurgerichts N. vom 15.06.2005 sowie die mit Verbalnote der Botschaft der türkischen Republik vom 28.12.2011 nachgereichten anwendbaren Strafgesetze des türkischen Strafgesetzbuches.
Die anwendbaren Vorschriften zur Vollstreckungsverjährung sind dem Senat bekannt, so dass es ihrer Vorlage durch die türkischen Behörden nicht bedarf.
Die in den Auslieferungsunterlagen in Bezug genommenen Vorschriften des türkischen StGB gem. Gesetz Nr. 765 lauten
"Art. 112 Ziff. 4
Die in diesem Artikel festgesetzten Strafen erlöschen durch Verjährung nach Ablauf folgender Fristen:
....
4. in zehn Jahren bei Zuchthaus oder Gefängnis bis zu fünf Jahren, bei zeitlicher Verweisung und bei zeitlicher Untersagung der Bekleidung öffentlicher Ämter sowie bei schweren Geldstrafen"
"Art. 113
Die Verjährung von Urteilen beginnt mit dem Tage, an dem das Urteil rechtskräftig wird oder an dem die Vollstreckung aus irgendeinem Grund unterbrochen wird."
Durch die vorbezeichneten Urteile ist gegen den Verfolgten rechtskräftig auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat erkannt worden.
2. Der Senat kann der Urteilsurkunde des Schwurgerichts N. vom 04.04.2002 mit hinreichender Sicherheit entnehmen, dass es sich nicht um ein Abwesenheitsurteil handelt.
a) Dass der Verfolgte am 14.02.2001 aus der Untersuchungshaft entlassen wurde und das Urteil rund 14 Monate später am 04.04.2002 erging, steht nicht entgegen. Der Verfolgte behauptet selbst nicht, dass er sich am ...