Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschuldigte Verfristung einer Beschwerde wegen Einlegung beim unzuständigen Gericht bei Unklarheit über das Verfahrensrecht (hier FamFG oder ZPO)
Leitsatz (amtlich)
Eine Fristversäumung kann unverschuldet, wenn aufgrund unterschiedlicher Rechtsstandpunkte in der Literatur der Irrtum ein Verfahrensbevollmächtigten eines Rechtsmittelführers annimmt, für die Rechtsmittelvoraussetzungen sei neues Verfahrensrecht (nach dem FamFG) anwendbar.
Dies galt bis zur Entscheidung des 12. Zivilsenats des BGH mit seinem Beschluss vom 2.12.2009 - XII ZB 207/08 - für die Frage, welche Verfahrensordnung für nach dem 31.8.2009 eingelegte Rechtsmittel in Familiensachen gilt. So vertreten Prütting/Helms in ihrem Kommentar zum FamFG, Art. 111 FGG-RG Rz. 5 die Auffassung, dass nach Art. 111 Abs. 2 FGG-RG jedes Verfahren, das mit einer Endentscheidung abgeschlossen wird, ein selbständiges Verfahren i.S.d. Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift sei. Jede Instanz sei damit als ein selbständiges gerichtliches Verfahren im Sinne der Überleitungsvorschriften zu behandeln und daher müsse auch in Verfahren, die vor dem 1.9.2009 begonnen worden seien, neues Recht dann angewandt werden, wenn das Rechtsmittel erst nach dem 1.9.2009 eingelegt worden sei. Auch wenn dieser Auffassung - wie der BGH mittlerweile entschieden hat (vgl. BGH, a.a.O.; auch u.a.: OLG Köln, Beschl. v. 19.10.2009 - 2 Wx 89/09) - nicht gefolgt werden kann, erscheint die durch die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin verfochtene Auffassung doch noch vertretbar.
Nach der klar stellenden vorgenannten BGH-Entscheidung kann dagegen eine Verfristung des Rechtsmittels wegen Einlegung einer Beschwerde beim unzuständigen Rechtsmittelgericht nicht mehr als entschuldigt angesehen werden.
Normenkette
FGG-RG Art. 111; ZPO §§ 233 ff.
Verfahrensgang
AG Bonn (Beschluss vom 11.09.2009; Aktenzeichen 408 F 145/09) |
Tenor
1. Der Antragsgegnerin wird wegen Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Bonn vom 11.9.2009 - 408 F 145/09 - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
2. Dem Antragsteller wird das Aufenthaltsbestimmungsrecht einschließlich der Passangelegenheiten sowie das Sorgerecht betreffend die Gesundheitsfürsorge übertragen. Der weitergehende Antrag des Antragstellers, ihm das alleinige Sorgerecht insgesamt zu übertragen, wird zurückgewiesen.
Eine Erstattung außergerichtlicher Auslagen im Sorgerechtsverfahren findet nicht statt.
Die Gerichtskosten tragen die beteiligten Eltern jeweils zur Hälfte.
3. Der Antragsgegnerin wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin H. in C. bewilligt.
Gründe
1. Der Antragsgegnerin war wegen Versäumung der Beschwerdefrist gem. §§ 233, 234, 621e Satz 3, 517 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Die Antragsgegnerin war nämlich ohne Verschulden verhindert, die Notfrist des § 517 ZPO zur Beschwerdeeinlegung einzuhalten. Auf vorliegendes Verfahren ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin noch altes Verfahrensrecht anwendbar. Die Zulässigkeit von Rechtsmitteln und das Verfahren des Rechtsmittelgerichts richtet sich nach der bis zum 31.8.2009 geltenden Rechtslage, auch wenn die angefochtene Entscheidung erst nach Inkrafttreten des FamFG am 1.9.2009 ergangen ist. Gemäß Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-Reformgesetz (FGG-RG) sind nämlich auf Verfahren, die vor dem 1.9.2009 eingeleitet worden sind oder deren Einleitung bis zu diesem Zeitpunkt beantragt wurde, weiterhin die Bestimmungen des bisherigen Rechts anzuwenden. Vorliegend ist die Verfahrenseinleitung bereits am 11.5.2009 mit Eingang der Antragsschrift des Antragstellers bei dem AG erfolgt. Die Anwendung des bisherigen Verfahrensrechts schließt auch die Regelungen über die Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichtes und die Zulässigkeit des entsprechenden Rechtsmittels ein (vgl. BGH, 12. Zivilsenat, Beschl. v. 2.12.2009 - XII ZB 207/08; OLG Köln, Beschl. v. 19.10.2009 - 2 Wx 89/09). Damit hat aber die Antragsgegnerin ihre Beschwerde vom 16.10.2009 gegen den ihr am 21.9.2009 zugestellten Sorgerechtsbeschluss beim unzuständigen Gericht, nämlich dem AG - Familiengericht - Bonn eingelegt. Das zulässige Rechtsmittel ist die befristete Beschwerde nach § 621e ZPO. Dieses ist beim zuständigen Rechtsmittelgericht, also dem OLG, einzulegen. Eingegangen ist die Beschwerde beim OLG Köln auf Veranlassung des Familiengerichts aber erst am 6.11.2009 (Blatt 70 R GA) und damit verspätet, da nicht mehr innerhalb der Monatsfrist. Hierauf ist die Antragsgegnerin gem. Verfügung des Senates vom 11.11.2009 (Blatt 72 GA) hingewiesen worden. Auf den Hinweis des Senates hat sodann die Antragsgegnerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Dem Antrag war stattzugeben.
Die Fristversäumung ist nämlich unverschuldet, da aufgrund der unterschiedlichen Rechtsst...