Entscheidungsstichwort (Thema)
Kontinuität der Erziehung durch die elterliche Hauptbezugsperson
Leitsatz (amtlich)
Bei der Entscheidung, welchem Elternteil die elterliche Sorge (teilweise) zu übertragen ist, kommt dem Grundsatz der Kontinuität wesentliche Bedeutung zu. Dies gilt umso mehr, wenn die Kinder in der Vergangenheit zuletzt nur zeitweise im geordneten Familienverbund aufgewachsen sind und ein gewachsenes soziales Umfeld (noch) nicht existiert. Große Bedeutung kommt daher der Frage zu, welcher der beiden Elternteile die wichtigere Bezugsperson der Kinder ist. Indiz hierfür kann der geäußerte Kindeswille sein.
Kommt eine gemeinsame Sorge der Kindeseltern nicht in Betracht, ist dieser Bezugsperson unter Kindeswohlgesichtspunkten das Sorgerecht zu übertragen, wenn gegen die Zuweisung der elterlichen Sorge an diese keine schwerwiegenden Gründe sprechen -sie sich insbesondere erziehungsgeeignet zeigt - und auch sonst keine größeren "sozialen Brüche" entgegenstehen.
Normenkette
BGB § 1671 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
AG Bonn (Beschluss vom 19.11.2010; Aktenzeichen 402 F 184/10) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Sorgerechtsbeschluss des AG - Familiengericht - Bonn vom 19.11.2010 - 402 F 184/10 - wird auf seine Kosten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge verbleibt, soweit die Frage des Aufenthaltes der betroffenen Kinder im Ausland zu regeln ist. Im Übrigen verbleibt es bei dem Entzug der elterlichen Sorge für den Kindesvater und der Übertragung der Alleinsorge auf die Kindesmutter.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.
2. Der Antragstellerin wird zur Rechtsverteidigung gegen die Beschwerde des Antragsgegners ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin T. C. in H. bewilligt.
3. Der Antrag des Antragsgegners, ihm zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, wird mangels der gem. §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 ZPO entsprechend erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht des Beschwerdeverfahrens zurückgewiesen.
Gründe
1. Die gem. §§ 58, 59, 61, 63, 64, 151, 38 FamFG zulässige - insbesondere frist- und formgerecht eingelegte - Beschwerde des Antragsgegners hat in der Sache nur insoweit Erfolg, als die elterliche Sorge der Kindesmutter einzuschränken war, als es um die Befugnis geht, den Aufenthalt der betroffenen Kinder für das Ausland zu regeln. Insoweit verbleibt es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge der Eltern, um zu verhindern, dass die Antragstellerin möglicherweise mit ihren Kindern ohne die Zustimmung des Kindesvaters bzw. ohne eine ausdrückliche familiengerichtliche Sorgerechtsregelung ins Ausland verzieht oder gar in die Vereinigten Staaten auswandert.
Unter der Maßgabe dieser Einschränkung war darüber hinaus gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf Antrag der Kindesmutter das alleinige Sorgerecht auf diese zu übertragen, weil zu erwarten ist, dass nach der Trennung der Eltern die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf die Kindesmutter dem Wohl der beiden gemeinsamen Kinder der beteiligten Kindeseltern am besten entspricht.
Zur Begründung kann zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Familiengerichts verwiesen werden. Entscheidender Gesichtspunkt für die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Kindesmutter ist der Umstand, dass es unter Kontinuitätsgesichtspunkten mit Blick auf die Familienverhältnisse für die Kinder dienlicher ist, wenn sie beide bei der Kindesmutter verbleiben.
Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass es nach den sich aus den Akten ergebenden Umständen die Kindesmutter war, die sich sowohl im Irak wie auch später nach der Ausreise in Deutschland zunächst mit der Erziehung und Pflege der Kinder vorrangig befasste. Die Kindesmutter flüchtete im Jahre 2008 mit ihren beiden Kindern aus politischen Gründen aus dem Irak nach Deutschland. Hier lebte sie zunächst längere Zeit alleine mit den Kindern. Erst nachdem der Antragsgegner nach Deutschland nachzog, kam es für relativ kurze Zeit nochmals zu einer Zusammenführung und einem Zusammenleben der Familie in N. bzw. D.. Unwidersprochen und durch die entsprechenden Urkunden in vorliegendem Verfahren belegt, kam es nach dem Zuzug des Kindesvaters nach Deutschland zum Ausbruch von Gewalttätigkeiten des Kindesvaters gegenüber der Kindesmutter. Wie sich aus den entsprechenden polizeilichen Protokollen ergibt, erfolgte diese Gewaltanwendung jedenfalls teilweise auch in Gegenwart der Kinder. Die Gewaltanwendungen führten zu einem Strafverfahren wie auch zu einem polizeilichen Verfahren auf Verweis aus der Wohnung. Ob diese auch tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten u.a. auch dadurch bedingt waren, dass sich die Kindesmutter, nachdem sie zunächst alleine in Deutschland aufhältig war, einem neuen Partner zugewandt hatte, braucht nicht abschließend geklärt zu werden. Für eine solche neue Beziehung spricht jedenfalls die Tatsache, dass die Antragstellerin auf entsprechende Fragen des Familieng...