Leitsatz (amtlich)
Die Abschiebung als unerwünschter Ausländer (hier : aus den Niederlanden nach Belgien) während des laufenden Strafverfahrens mit der Folge, dass der Verfolgte an 3 von 7 Verhandlungstagen und an der Urteilsverkündung nicht mehr teilnehmen konnte, führt zu einem Auslieferungshindernis gem. § 83 Nr. 3 IRG.
Tenor
Die Auslieferung des albanischen Staatsangehörigen A. D.
in die Niederlande zur Vollstreckung der Reststrafe von 1472 Tagen aus der
in dem Europäischen Haftbefehl der Nationalen Staatsanwaltschaft in
Z. vom 04.07.2013 enthaltenen Verurteilung durch den Gerichtshof Rotter-
dam vom 14.06.2012 wird für unzulässig erklärt.
Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 26.03.2015
wird aufgehoben.
Die dem Verfolgten im Auslieferungsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Gegen den Verfolgten besteht ein Europäischer Haftbefehl des Gerichtshofs Rotterdam vom 04.07.2013 mit dem um die Auslieferung des gegenwärtig in Strafhaft für die StA A. einsitzenden Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung ersucht wird. Nach den Angaben des Europäischen Haftbefehls ist der Verfolgte in Anwesenheit durch den Gerichtshof Rotterdam am 14.06.2012 wegen versuchten Totschlags, Körperverletzung und Geiselnahme sowie wegen einer Betäubungsmittelstraftat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden, wovon noch 1472 Tage zu verbüßen sind.
Der Senat hat am 26.03.2015 einen Auslieferungshaftbefehl erlassen. Bei seiner richterlichen Anhörung durch das Amtsgericht A. am 10.04.2015 hat der Verfolgte erklärt, er sei von den niederländischen Behörden nach Belgien abgeschoben worden und habe nicht in die Niederlande zurückkehren dürfen; er hätte dann mit seiner erneuten Festnahme rechnen müssen. Das Urteil sei nicht rechtens, weil er dann in seiner Abwesenheit verurteilt worden sei.
Zu diesen Angaben des Verfolgten haben die niederländischen Behörden mit ergänzendem Schreiben vom 29.04.2015 folgendes mitgeteilt: Der seinerzeit in Untersuchungshaft befindliche Verfolgte habe an den Verhandlungstagen vom 03.05., 02.08., 27.10.2011 sowie am 16.01.2012 in Anwesenheit seines Verteidigers und eines Dolmetschers persönlich teilgenommen. Am 16.01.2012 sei die Untersuchungshaft zum 24.01.2012 ausgesetzt worden. Am 24.01.2012 sei der Verfolgte als unerwünschter Ausländer in Abschiebehaft genommen und 06.04.2012 an die belgischen Behörden ausgeliefert worden. Bei den weiteren Verhandlungstagen vom 24.05., 29.05. und 31.05.2012, zu denen er am 05.04.2012 in der Abschiebehaft noch persönlich geladen worden sei, sei der Verfolgte nicht anwesend gewesen. Einen Antrag auf eine befristete Aufhebung der Erklärung zum unerwünschten Ausländer, um an den weiteren Sitzungen teilnehmen zu können, habe der Verfolgte nicht gestellt. Er sei während des gesamten Verfahrens durch einen von ihm bevollmächtigten Verteidiger vertreten worden. Am 14.06.2012 hat das Gericht Rotterdam gegen den Verfolgten ein streitiges Urteil verkündet, gegen das keine Berufung eingelegt worden sei, so dass es rechtskräftig sei.
Die Tatvorwürfe lauten wie folgt: Der Verfolgte soll am 05.02.2011 mit anderen Personen auf den R. A. und den H. D. in Tötungsabsicht geschossen haben. Zwischen dem 04.02. und dem 06.02.2011 soll der Verfolgte zusammen mit weiteren Personen sechs Opfer mit einer Schusswaffe bedroht und mit Kabelbindern gefesselt haben, um Geld zu erpressen. Am 02.02.2013 soll der Verfolgte gemeinsam mit anderen Personen mit einem 1 kg Kokain unerlaubten Handel getrieben haben. Tatort soll jeweils Rotterdam gewesen sein.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat zunächst die Erklärung der Auslieferung als zulässig beantragt und zuletzt eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung und den Fortbestand der Auslieferungshaft angetragen.
II.
Die Auslieferung des Verfolgten in die Niederlande ist nicht zulässig.
1. Zwar stellt der Europäische Haftbefehl des Gerichtshofs Rotterdam vom 04.07.2013 gem. §§ 79 Abs. 1, 83a Abs. 1 IRG ein förmlich nicht zu beanstandendes Auslieferungsersuchen der niederländischen Behörden dar.
Er enthält alle nach § 83 a Abs. 1 IRG erforderlichen Angaben. Die abgeurteilten Taten sind nach der maßgeblichen Einordnung des ersuchenden Mitgliedstaates als sog. Katalogtaten im Sinne des Artikel 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13.Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 190 S. 1) anzusehen ("Versuchte Vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung, Entführung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme, illegaler Drogenhandel"), sodass die (bei allen Tatvorwürfen allerdings unzweifelhaft gegebene) beiderseitige Strafbarkeit nicht zu prüfen ist.
Die Voraussetzung des § 81 Nr. 2 IRG ist ebenfalls erfüllt, da noch mehr als vier Monate Freiheitsstrafe zu vollstrecken sind.
Ein Bewilligungshindernis nach § 83 b Abs. 2 lit b IRG scheidet ebenso aus, da der Verfolgte in Deutschland keinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
2. Der Ausli...