Leitsatz (amtlich)

Die Anforderungen an die Legalprognose nach §§ 68 f Abs. 2, 68 e Abs. 2 Satz 1 StGB sind strenger als in § 57 Abs. 1 Ziff. 2 StGB. Eine Reststrafenaussetzung in anderer Sache rechtfertigt daher nicht ohne weiteres das entfallen der Führungsaufsicht nach vollständiger Strafvollstreckung.

 

Verfahrensgang

AG Mönchengladbach (Entscheidung vom 01.06.2006; Aktenzeichen 13 Ls 114/04)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass nach vollständiger Verbüßung der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 1.6.2006 (Az. 13 Ls 114/04) Führungsaufsicht besteht.

3. Die Dauer der Führungsaufsicht beträgt vier Jahre.

4. Während der Dauer der Führungsaufsicht untersteht der Verurteilte der für seinen Wohnsitz zuständigen Führungsaufsichtsstelle.

5. Der Verurteilte wird für diesen Zeitraum der Aufsicht und Leitung eines für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshelfers unterstellt.

6. Dem Verurteilten werden folgende Weisungen nach § 68 b Abs. 1 StGB erteilt:

a) Er hat der Aufsichtsstelle jeden Wechsel der Wohnung oder der Arbeitsstelle unverzüglich zu melden.

b. Er hat sich um Arbeit zu bemühen und sich im Falle der Arbeitslosigkeit bei der zuständigen Agentur für Arbeit oder einer sonstigen zur Arbeitsvermittlung zugelassenen Stelle arbeitslos zu melden.

7. Dem Verurteilten wird nach § 68 b Abs. 2 StGB die Weisung erteilt, sich unverzüglich um die Fortsetzung der psychotherapeutischen Behandlung zu bemühen und diese nicht ohne Zustimmung der Aufsichtsstelle zu beenden.

8. Die Belehrung über die Bedeutung der Führungsaufsicht wird der Strafvollstreckungskammer übertragen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Verurteilten auferlegt.

 

Gründe

I.

Der Verurteilte hat nach seiner Festnahme am 19.4.2004 die Freiheitsstrafe von einem Jahr aus dem Urteil des Amtsgerichts Schwerin vom 13.7.2004 (Az. 38 Ds 298/01) und die Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 1.6.2006 (Az. 13 Ls 114/04) vollständig verbüßt. Der Rest der Freiheitsstrafe von ursprünglich drei Jahren aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Wermelskirchen vom 15.6.2005 (Az. 4 Ds 199/03) ist nach Teilverbüßung durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen vom 26.11.2009 (Az. 33 e StVK 205/09) zur Bewährung ausgesetzt worden. Der Senat hat die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach durch Beschluss vom 23.12.2009 (Az. 2 Ws 612/09) verworfen.

Mit Beschluss vom 8.2.2010 (Az. 33 e StVK 4/10 FA) hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen angeordnet, dass die kraft Gesetzes eintretende Führungsaufsicht entfällt. Diese Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach mit der fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde angefochten.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 463 Abs. 3 S. 1, 454 Abs. 3 S. 1 StPO zulässig und in der Sache auch begründet.

Die Voraussetzungen für ein Entfallen des Führungsaufsicht nach § 68 f Abs. 2 StGB liegen nicht vor.

Die Strafvollstreckungskammer hat ihre Entscheidung auf die Gründe der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung gestützt, die sie insbesondere unter Berücksichtigung des nur noch relativ geringen Strafrestes und des Gesichtspunktes, dass es sich bei dem Verurteilten um einen Erstverbüßer handelt, der sich fünfeinhalb Jahre in Haft befunden hat, unter Zurückstellung von Bedenken für verantwortbar gehalten hat. Diese den Anforderungen des § 57 Abs. 1 Ziff. 2 StGB gerecht werdende Einschätzung deckt sich jedoch nicht mit der nach § 68 f Abs. 2 StGB zu stellenden Prognose, die entsprechend § 68 e Abs. 2 S. 1 StGB voraussetzt, dass zu erwarten ist, dass der Verurteilte auch ohne die Führungsaufsicht keine Straftaten mehr begehen wird. Diese Erwartung muss sich zwar nicht zur Gewissheit verdichten, erforderlich ist aber eine entsprechende hohe Wahrscheinlichkeit, wobei Zweifel zu Lasten des Verurteilten gehen (SenE vom 13.1.2010 - 2 Ws 20 - 21/10 -;Schneider in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Auflage, § 68 e Rdn. 10 und § 68 f Rdn. 20). Die Anforderungen sind daher strenger als in § 57 Abs. 1 Ziff. 2 StGB, der nur eine realistische Chance im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit genügen lässt (SenE vom 9.1.2008 - 2 Ws 7/08 - und vom 4.5.2008 - 2 Ws 194/06 -; Schneider a.a.O. § 68 f Rdn. 20).

Die konkrete Erwartung, dass der Verurteilte künftig keine Straftaten mehr begehen wird, besteht vorliegend nicht. Er ist seit seinem 14. Lebensjahr vielfach vorbestraft, wobei sich Straftaten aus den unterschiedlichsten Bereichen finden, so Vermögensdelikte, Körperverletzung, Urkundenfälschung, Nötigung, Bedrohung, falsche Verdächtigung, Beleidigung, Sachbeschädigung, versuchte schwere Brandstiftung, Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, Sexualdelikte und immer wieder Fahren ohne Fahrerla...

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