Leitsatz (amtlich)
Die niederländische Gnadenpraxis genügt den Anforderungen, die nach § 83 Nr. 4 IRG bei Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe an die Überprüfungsmöglichkeit der Vollstreckung nach spätestens 20 Jahren zu stellen sind (im Anschluß an Senat, Beschluss vom 27.04.2009 - 6 AuslA 25/08-9/09 -).
Tenor
Gegen die niederländische Staatsangehörige L. wird die Auslieferungshaft angeordnet.
Gründe
I. Die niederländischen Behörden ersuchen aufgrund eines von Staatsanwalt K. bei der Staatsanwaltschaft in M. erlassenen Europäischen Haftbefehls vom 24.11.2011 um die Auslieferung der Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung. Darin wird der Verfolgten ein Tötungsdelikt vorgeworfen. Sie soll am 06.08.2011 in S. in ihrer Wohnung den irakischen Staatsangehörigen J. niedergeschossen haben. Der Körper des Opfers soll anschließend von Familienangehörigen der Verfolgten nach Belgien verbracht und dort beseitigt worden sein. Der Tat soll ein Streit zwischen dem Opfer und dem Ehemann der Verfolgten vorangegangen sein, bei dem es um eine Erpressung im Zusammenhang mit Betäubungsmittelgeschäften in den Niederlanden gegangen sein soll.
Wegen des Tatvorwurfs befindet sich die Verfolgte für die Staatsanwaltschaft A. in dem Ermittlungsverfahren Az ... seit dem 26.22.3022 in Untersuchungshaft. Die niederländischen Behörden haben um Übernahme des bei der Staatsanwaltschaft A. geführten Verfahrens gebeten; die Staatsanwaltschaft A. beabsichtigt, diesem Ersuchen zu entsprechen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Köln hat dem Senat die Akten mit dem Antrag vorgelegt, gegen die Verfolgten die Auslieferungshaft anzuordnen.
II. Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist zu entsprechen. Gegen den Verfolgten ist nach § 15 Abs. 1 IRG die Auslieferungshaft anzuordnen.
1. Der Europäische Haftbefehl von Staatsanwalt K. bei der Staatsanwaltschaft in M. vom 24.11.2011 genügt den Anforderungen an ein Auslieferungsersuchen, vgl §§ 79 Abs. 1, 83 a IRG.
Er enthält die in § 83 a Abs. 1 IRG aufgeführten Angaben.
Die der Verfolgten zur Last gelegte Tat ist nach Zeit und Ort unter Angabe der nach dem niederländischem Recht einschlägigen Gesetzesbestimmungen (hier : Art. 287, 289, 47 des niederländischen StGB) hinreichend konkretisiert.
2. Die Voraussetzungen des § 81 Ziff. 1 IRG sind erfüllt, denn die Tat ist nach niederländischem Recht mit einer Strafe von im Höchstmaß mehr als 4 Monaten Freiheitsentzug bedroht.
3. Die beiderseitige Strafbarkeit ist nach § 81 Ziff.4 IRG nicht zu prüfen, da es sich nach dem Recht des ersuchenden Staates um eine Katalogtat (Mord, ggf Totschlag) im Sinne des Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 190 S.1) handelt.
4. Gründe, die der Zulässigkeit der Auslieferung der Verfolgten entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.
a) Ein Zulässigkeitshindernis gem. § 83 Ziff. 4 IRG besteht nicht. Nach dieser Vorschrift ist die Auslieferung nicht zulässig, wenn die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist (was hier auf das Tötungsdelikt zutrifft, soweit es als Mord zu qualifizieren sein sollte) und eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe auf Antrag oder von Amts wegen nicht spätestens nach 20 Jahren erfolgt. Die niederländische Rechtsordnung kennt diese Möglichkeit nicht .
Der Europäische Haftbefehl enthält jedoch folgende Angabe:
"Nach der Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedsstaates können Gnadenakte, auf die die Person nach dem innerstaatlichen Recht oder der Rechtspraxis des Ausstellungsmitgliedstaates Anspruch hat, mit dem Ziel der Nichtvollstreckung dieser Strafe angewandt werden."
Nach der Rechtsprechung des Senats handelt sich hierbei um ein justizförmiges, materiellen Kriterien unterworfenes Verfahren, in welchem ein Verfolgter ggf. seine Freilassung erreichen kann, und das den Anforderungen des § 83 Ziff.4 IRG genügt (Senat, Beschluss vom 24.11.2009 - 6 AuslA 141/09-91-).
b) Von einem Bewilligungshindernis nach § 83 b Abs. 1 a) IRG ist nicht auszugehen, da die deutschen Strafverfolgungsbehörden beabsichtigen, das bei der Staatsanwaltschaft A. wegen der Tat geführte Ermittlungsverfahren an die niederländischen Behörden auf deren Ersuchen hin abzugeben. Es ist anzunehmen, dass die Abgabe in dem Zeitpunkt, zu dem die Generalstaatsanwaltschaft gem. § 79 Abs. 2 IRG eine Vorabentscheidung zur Geltendmachung von Bewilligungshindernissen zu treffen haben wird, erfolgt ist und das inländische Ermittlungsverfahren einer Auslieferung dann nicht mehr entgegensteht.
c) Ein Bewilligungshindernis gem. § 83 b Abs. 2 lit a in Verb. mit § 80 Abs. 1 und 2 IRG besteht gleichfalls nicht. Die Gleichstellung der Verfolgten mit einem Deutschen erscheint nicht gerechtfertigt. Eine soziale Einbindung der Verfolgten, die ein berechtigtes Interesse an der Rücküberstellung zur Verbüßung einer gegebenenfalls in den Niederlanden verhängten Freiheitsstrafe im Inland begründen k...