Leitsatz (amtlich)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, wenn einem an mit Medikamenten nicht ausreichend zu lindernden, starken Schmerzen leidenden Angeklagten die Teilnahme an der Gerichtsverhandlung nicht zumutbar war. Eine noch gegebene "mindere Transportfähigkeit" muss der Wiedereinsetzung nicht entgegenstehen.
Tenor
Dem Angeklagten wird in Abänderung der angefochtenen Entscheidung auf seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung am 21.12.2009 in dem Strafverfahren Staatsanwaltschaft Aachen 606 Js 879/08 gewährt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der darin dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen trägt entsprechend § 467 StPO die Staatskasse.
Gründe
Das Landgericht hat dem Angeklagten mit an sich zutreffender Begründung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das Verwerfungsurteil vom 21.12.2009 versagt, weil die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur Entschuldigung des Ausbleibens in der Berufungsverhandlung nicht genügte (vgl. Senat Beschluß vom 10.12.2008 - 2 Ws 613/08 = NStZ-RR 2009,112).
Nach dem im Beschwerdeverfahren auf Antrag des Angeklagten vom Senat eingeholten ärztlichen Bericht von Dr. med. Q. vom 03.03.2010 ist jedoch nunmehr ausreichend glaubhaft gemacht, dass - worauf entscheidend abzustellen ist - dem Angeklagten die Teilnahme an der Hauptverhandlung wegen eines Bandenscheibenvorfalles unzumutbar war.
Die Anforderungen dürfen insoweit nicht überspannt werden.
Zweck des § 329 StPO ist es, den Angeklagten zu hindern, die Entscheidung des Berufungsgerichts dadurch hinauszuzögern, dass er sich der Verhandlung entzieht
( vgl Senat 30.09.2008 - 2 Ws 481/08 - m.w.N.). Die Ausnahme vom Grundsatz, dass gegen einen abwesenden Angeklagten kein Urteil erlassen werden darf, beruht auf der Unterstellung, dass der säumige Angeklagte an der Durchführung der Hauptverhandlung kein Interesse hat und auf das Rechtsmittel und damit eine sachliche Überprüfung des Urteils verzichtet (Senat a.a.O.)
Eine solche Unterstellung ist hier nach den nunmehr vorliegenden Erkenntnissen nicht gerechtfertigt.
Die Unzumutbarkeit des Erscheinens in der Berufungsverhandlung ist durch das ärztliche Attest von Dr. Q. vom 08.03.2010 hinreichend glaubhaft gemacht. Danach ist dem Arzt die als massiv beschriebene Erkrankung des Angeklagten an einem Bandscheibenvorfall bekannt. Wegen ( mit dieser Erkrankung typischerweise verbundenen ) akuter Schmerzen suchte der Angeklagte Dr. Q. am 07.12., am 11.12. und wegen unter laufender Medikation zunehmender Schmerzsymptomatik nochmals am 18.12.2009 auf. Bei dieser Konsultation erfolgte eine Überweisung zu einem Orthopäden. Dem Angeklagten kann kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass eine fachärztliche Behandlung bis zur drei Tage später stattfindenden Berufungsverhandlung nicht stattgefunden hat.
Aus dem Arztbericht von Dr. Q. ist in noch hinreichender Weise herzuleiten, dass der Angeklagte in ihm zumutbarer Weise nicht in der Lage war, den Gerichtstermin beim Landgericht wahrzunehmen. Dabei ist nicht entscheidend, dass der Angeklagte den - allerdings schon nicht unbeträchtlichen - Weg von seinem Wohnort V. nach B. angesichts der im Arztbericht bescheinigten "minderen Transportfähigkeit" wohl noch hätte auf sich nehmen können. Maßgeblich ist vielmehr, dass einem an mit Medikamenten nicht ausreichend zu lindernden, starken Schmerzen leidenden Angeklagten die Teilnahme an der Gerichtsverhandlung nicht zumutbar ist. Verhandlungsunfähigkeit entschuldigt auch dann, wenn der Angeklagte an sich vor Gericht erscheinen könnte (vgl Meyer-Goßner, StPO, 52.Aufl., § 329 Randnr. 26) .
Anhaltspunkte für eine inhaltliche Unrichtigkeit des Attestes sind nicht ersichtlich.
Dem Angeklagten war daher auf sein Rechtsmittel hin Wiedereinsetzung zu gewähren.
Fundstellen