Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Bedeutung der Bindungstoleranz bei Sorgerechtsentscheidungen. Elterliche Sorge: Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Kindesmutter unter Berücksichtigung von Förderkompetenz und Bindungstoleranz
Leitsatz (amtlich)
Bei der Entscheidung, welchem Elternteil das Sorgerecht oder ein Teil der elterlichen Sorge - hier das Aufenthaltsbestimmungsrecht - zu übertragen ist, kommen der Erziehungskompetenz, der Förderkompetenz als Teil der Erziehungskompetenz sowie der Bindungstoleranzentscheidende Bedeutung zu.
Dagegen spielt der Gesichtspunkt der Kontinuität der Fortdauer der Betreuung durch den Vater im gewohnten sozialen Umfeld eher eine untergeordnete Rolle, wenn die Kinder bis nachmittags im Kindergarten, Schule und Kindertagesstätte betreut werden und beide Elternteile vollschichtig berufstätig sind.
Die Bindungstoleranz ist gerade dann, wenn die Kinder enge emotionale Bindungen an beide Eltern haben, von großer Bedeutung für die weitere, gute emotionale Entwicklung der Kinder. Wenn dann der Kindesvater gegenüber einer Jugendamtsmitarbeiterin äußert, es sei ihm am liebsten, wenn sich die Mutter aus dem Leben der Kinder verabschiede, zeigt dies jedenfalls eine mangelhafte Bindungstoleranz.
Normenkette
BGB § 1671
Verfahrensgang
AG Brühl (Beschluss vom 11.12.2008; Aktenzeichen 35 F 109/08) |
Tenor
I. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Brühl vom 11.12.2008 - 35 F 109/08 - wird zurückgewiesen.
Es bleibt bei der Kostenentscheidung erster Instanz.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.
II. Der Antrag des Antragsgegners auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird mangels Erfolgsaussicht der Beschwerde zurückgewiesen.
III. Der Antragstellerin wird zur Verteidigung im Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin Dr. C., D-M, beigeordnet.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Kindesvaters hat in der Sache keinen Erfolg.
Zu Recht hat das AG das Aufenthaltsbestimmungsrecht für O und M die beiden gemeinsamen Töchter der Parteien, auf die Kindesmutter übertragen.
Zur Begründung verweist der Senat zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des AG im angefochtenen Beschluss.
Die Beschwerde des Kindesvaters kann eine Änderung dieser Entscheidung zu seinen Gunsten nicht rechtfertigen.
Zunächst stellt auch der Kindesvater die Feststellungen der Sachverständigen, die Kinder haben in der Vergangenheit zu beiden Elternteilen eine gute und intensive Bindung aufbauen können, zu keinem Elternteil haben die Kinder eine Präferenz gezeigt, nicht in Abrede.
Soweit er jedoch meint, zu ihm bestehe "naturgemäß eine intensivere Beziehung", weil er seit Anfang 2001, als O ca. 2 ½ Jahre alt war - M wurde im April 2003 geboren - bis zur Trennung im Jahr 2007 zuhause geblieben und die Kindesmutter vollschichtig erwerbstätig war, kann dem nicht gefolgt werden.
Zwar erfordert der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung ein Mindestmaß an zeitlicher Zuwendung. Aber der Aufbau sicherer emotionaler Beziehungen erfolgt, worauf die Sachverständige zu Recht hinweist, aufgrund "qualitativer Merkmale in der Eltern- Kind-Interaktion, insbesondere der allgemeinen Sensitivität eines Elternteils in der Betreuung des Kindes."
Und hierbei ist es der Kindesmutter trotz ihrer vollschichtigen Erwerbstätigkeit gelungen, eine enge und vertrauensvolle emotionale Bindung zu beiden Kindern aufzubauen, mit der Folge, dass die Kinder keine Präferenz zu einem Elternteil gezeigt haben.
Auch hat sich nicht ergeben, dass nur der Kindesvater in der Lage sei, den Kindern Liebe und Geborgenheit zu vermitteln. So hat gerade M z.B. gesagt, sie lasse sich von beiden Eltern gleichermaßen gerne trösten. Eine intensivere emotionale Bindung an den Kindesvater lässt sich gerade nicht feststellen.
Auch spielt der Gesichtspunkt der Kontinuität der Fortdauer der Betreuung durch den Vater im gewohnten sozialen Umfeld keine entscheidende Rolle mehr.
Die Kinder werden bis nachmittags im Kindergarten, Schule und Kindertagesstätte betreut, beide Eltern sind - was unter diesen Umständen auch möglich und nicht zu beanstanden ist - wieder vollschichtig erwerbstätig. Beide wollen das gewohnte soziale Umfeld nicht ändern.
Deshalb hat das AG zu Recht mit der Sachverständigen der Erziehungskompetenz, der Förderkompetenz als Teil der Erziehungskompetenz sowie der Bindungstoleranz das maßgebende Gewicht für die Entscheidung beigemessen.
Die Erziehungskompetenz ist bei beiden Eltern grundsätzlich nicht eingeschränkt.
Zwar haben die Eltern unterschiedliche Erziehungsstile, wie der Kindesvater betont. Wenngleich das AG zu Recht darauf hinweist, dass gerade zu Beginn der Pubertät in sexueller Hinsicht eine gesteigerte Sensibilität und Rücksichtnahme der Eltern erforderlich ist, wirken sich unterschiedliche Erziehungsstile grundsätzlich als "erweitertes Angebot" und im Sinne wechselseitiger "Kompensation von Erziehungsschwächen positiv auf die emotionale, sozial...