Leitsatz (amtlich)
Zum Entzug von Teilbereichen der elterlichen Sorge nach § 1666 BGB bei Verdacht eines Münchhausen-by-Proxy Syndroms der Kindesmutter.
Tenor
1. Die Beschwerde der Kindesmutter vom 29.02.2024 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Leverkusen vom 08.02.2024 (32 F 20/24) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Der Antrag der Kindesmutter vom 09.04.2024 auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligte zu 1. ist die allein sorgeberechtigte Mutter des Kindes M., geboren am ...2013. Der Kindesvater lebt in Russland, sein Wohnort ist unbekannt.
Die Familie ist dem Jugendamt seit mehreren Jahren bekannt. Am 13.7.2018 stellte das Jugendamt aufgrund von Überforderung der Kindesmutter und aufgrund des auffälligen Verhaltens von M. im Eilverfahren einen Antrag auf Entzug der elterlichen Sorge. Das Kind wurde parallel in Obhut genommen. Das Gericht gab am 26.2.2019 ein Gutachten in Auftrag. Der Kindesmutter wurde im Rahmen des Gutachtens ein theatralischer Persönlichkeitsstil zugewiesen. Allerdings, so die Gutachterin weiter, wirkte sich dieser Persönlichkeitsstil nicht auf die Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter aus. Auf der Grundlage dieses Gutachtens wurde M. letztendlich am 14.05.2019 in den mütterlichen Haushalt zurückgeführt.
Am 11.08.2023 ging eine erneute Kindeswohlgefährdungsmeldung ein. Die Schule meldete, dass M. hohe Fehlzeiten habe, regelmäßig übermüdet erscheine und einen "abgemagerten Eindruck" erwecke. Die Kindesmutter sei eine Woche lang von dem Schulpersonal nicht gesichtet worden. Auf Nachfrage habe M. angegeben, dass ihre Mutter seit einer Woche nicht Zuhause gewesen sei und sie sich in der Zeit selbst versorgt habe.
Vor dem Hintergrund der massiven Meldungsinhalte sollte ein KWG-Clearing in der Familie eingesetzt werden, um die häusliche Situation einschätzen zu können. Die Kindesmutter lehnte die Zusammenarbeit mit dem hiesigen Jugendamt ab. Eine sozialpädagogische, nicht russisch sprechende Fachkraft lehnte die Kindesmutter ab, sie bestand auf einer russisch sprechende Fachkraft, die das Jugendamt nicht stellen konnte.
Nach zwei Knieoperationen am 16.05.2023 und 24.10.2023 befand sich M. seit dem 27.12.2023 in C. in einer Rehabilitations- und Vorsorgeklinik für Kinder und Jugendliche zur stationären Rehabilitation. Die Entlassung war für den 24.01.2024 geplant.
Am 18.01.2024 (Bl. 74 AG-Akte) erfolgte durch den Chefarzt der Klinik, Herr Dr. med. T., nachfolgende Kindeswohlgefährdungsmeldung:
"...
Wir gehen aktuell von einer Anorexia nervosa aus, wenn auch aktuell noch nicht im lebensbedrohlichen Stadium. Dennoch fehlt bei der Mutter hierzu jede Einsicht. Darüber hinaus betreibt die Mutter extremes Wechseln von Ärzten, hat wegen multipler fraglicher Krankheiten ihrer Tochter Ärzte in ganz Deutschland aufgesucht. Auch hier im stationären Alltag sieht sie bei ihrer Tochter permanent vermeintliche Krankheiten, die ihrer Meinung nach schwerwiegend bis lebensbedrohlich sind. Die eigentliche Gefahr der Anorexie jedoch erkennt sie nicht.
Frau B. ist zum Teil Aufbrausend, beleidigend, sehr fordernd. Hat vollkommen unrealistische Vorstellungen vom Leben in unserem Land. Das Mädchen wirkt in unseren Therapiesitzungen depressiv und durch die Mutter vollständig dominiert.
Nach Rücksprache mit dem bis letzten Herbst zuständigen Kinderarzt Dr. D. in B., habe ich erfahren, dass sie dort ebenfalls massiv beleidigend war, sodass er das Behandlungsverhältnis aufgekündigt hat. Auch er hat bereits den Verdacht auf ein Münchhausen by Proxy Syndrom gestellt. Diesem schließe ich mich an, sodass hier eine Gefahr für das Kind vorhanden ist. Frau B. ist extrem fixiert auf vermeintliche Erkrankungen ihrer Tochter. Herr Dr. D. hat selbst angeregt, dass Sie sich gerne an ihn wenden können bzgl. seiner Einschätzung.
Unserer Ansicht nach, ist Frau B. selbst psychisch krank und hat hierin aber keinerlei Einsicht. Gleichzeitig muss das Mädchen dringend in kinderpsychiatrische Behandlung, wozu Frau B. aber nicht in der Lage ist."
Am 19.01.2024 verließ die Kindesmutter mit M. die Klinik in C. und reiste in das ca. 200 km entfernte E. Dort stellte sie M. aufgrund einer vermeintlichen Herzerkrankung in der Kinder- und Jugendklinik E. vor. Laut Meldung von Dr. F. vom gleichen Tag an das Jugendamt sei dies bei ungünstigen winterlichen Bedingungen, ohne ihr Gepäck, ohne Rücksprache mit den Ärzten und auch ohne medizinischen Grund (in eine vollkommen unnötig weit entfernte Klinik) erfolgt.
Am 22.01.2024 (vgl. Bl. 17 AG-Akte) erfolgte eine Kindeswohlgefährdungsmeldung der Kinder- und Jugendklinik E., Frau M. (Psychologin der Kinderneuropädiatrie) und Frau Dr. med. D. O. (Funktionsoberärztin), mit folgender Verdachtsdiagnose:
- V.a. Münchhausen by-proxy der Kindesmutter. Mangelnde Compliance und Verständnis bezüglich des Behandlungsregimes. Massiv erschwerte Zusammenarbeit zw...