Leitsatz (amtlich)

Die Aussetzung eines Rechtsstreits im Hinblick auf einen anderen Rechtsstreit, bei dem es um dieselben Fragen geht ("Musterverfahren") in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO ist grundsätzlich nicht möglich. Dies gilt erst recht, nachdem der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage in § 148 Abs. 2 ZPO für derartige Fälle einen eng umgerenzten Aussetzungstatbestand geschaffen hat.

 

Normenkette

ZPO § 148

 

Verfahrensgang

LG Köln (Aktenzeichen 82 O 154/17)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Köln vom 09.05.2018 aufgehoben.

 

Gründe

I. Die Beklagte hat im Jahr 2010 ein Angebot veröffentlicht, die Aktien der E AG zum Preis von 25 EUR/Aktie zu erwerben. Nachdem sie auf der Grundlage dieses Angebots in erheblichem Umfang Aktien erworben hatte, haben verschiedene Aktionäre, die ihre Aktien entsprechend dem Angebot der Beklagten an diese veräußert hatten, Nachforderungen gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 WpÜG geltend gemacht, weil der Übernahmepreis unangemessen gewesen sei. In einem dieser Verfahren hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 29.07.2014 (II ZR 353/12 -, WM 2014, 1627) entschieden, dass ein solcher Anspruch in Betracht komme, weil bei der Ermittlung des angemessenen Preises möglicherweise ein anderer Referenzzeitraum zugrunde zu legen sei (a. a. o., Rn. 34 ff.). Er hat die Entscheidung des Berufungsgerichts (OLG Köln, Urteil vom 31.10.2012 - 13 U 166/11 -, ZIP 2013, 1325) deshalb aufgehoben und das Verfahren zur weiteren Aufklärung zurück verwiesen. Der für dieses Verfahren zuständige 13. Zivilsenat des OLG Köln hat Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 27.03.2019 bestimmt. An diesem Tag soll auch über die weitere bei diesem Senat bereits anhängige Berufung aus diesem Komplex (13 U 231/17) verhandelt werden, die sich gegen das Urteil des LG Köln vom 20.10.2017 (82 O 11/15, Der Konzern 2018, 213) richtet.

Derzeit sind bei der hierfür zuständigen 2. Kammer für Handelssachen weitere über 40 Verfahren anhängig, in denen es ebenfalls um Ansprüche gegen § 31 WpÜG geht. Kläger sind häufig mehrere Personen, teilweise über 100, die jeweils unterschiedlich hohe Ansprüche geltend machen. Nach Eingang der jeweiligen Klage hatte der Kammervorsitzende angeregt, diese Verfahren zum Ruhen zu bringen und zunächst einmal den Ausgang der beim OLG Köln bereits anhängigen Berufung gegen das Urteil vom 20.10.2017 abzuwarten. Während die Beklagte hiermit einverstanden war, haben nicht alle Kläger ihre Zustimmung hierzu erteilt. Daraufhin hat die Kammer für Handelssache mit Beschluss vom 09.05.2018 (Bl. 240 ff. d. A.) sämtliche bei ihm anhängigen Parallelverfahren bis zum Abschluss des Berufungsverfahren in der Sache 13 U 231/17 ausgesetzt. Sie hat diese Entscheidung auf eine entsprechende Anwendung des § 148 ZPO gestützt und unter Bezugnahme auf verschiedene Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ausgeführt, die Fortführung der bei der Kammer anhängigen Verfahren "würde zu einer unverhältnismäßigen und nicht zu bewältigenden Belastung ... führen" (Seite 3 des Beschlusses). Die Situation sei vergleichbar mit der des Vorlageverfahrens zum EuGH, bei der § 148 ZPO analog angewendet wird. Durch ihre Entscheidung der neuen Verfahren würde die Entscheidung der zentralen Rechtsfrage ob die Beklagte gemäß § 31 WpÜG hafte, nicht schneller beantwortet. Im Gegenteil würden das OLG und der BGH durch die sicher zu erwartenden Rechtsmittel nur an einer schnelleren Erledigung der bereits anhängigen Parallelverfahren gehindert.

Gegen diese Entscheidung, die ihnen am 25.05.2018 zugestellt worden ist, haben die Kläger am 06.06.2018 sofortige Beschwerde eingelegt. Nachdem die Beklagte der Beschwerde entgegengetreten ist, hat das Landgericht mit Beschluss vom 16.07.2018 der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 252 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht eingelegt. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

1. Auch das Landgericht geht zutreffend davon aus, dass die Voraussetzungen des § 148 ZPO nicht vorliegen, weil keine Vorgreiflichkeit des beim OLG Köln anhängigen Berufungsverfahrens besteht. Aufgrund des gleich gelagerten Sachverhalts spricht zwar viel dafür, dass die Verfahren gleich zu entscheiden sein werden. Dies ist aber eine rein "faktische Vorgreiflichkeit", die die Qualität einer Abhängigkeit i. S. des § 148 ZPO nicht erreicht.

2. Entgegen der von der Kammer vertretenen Auffassung kommt aber auch eine Aussetzung in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO nicht in Betracht. Es spricht zwar vieles dafür, dass die vom Landgericht angestellten Erwägungen praktisch sinnvoll sind. Sobald das derzeit bereits in der Berufungsinstanz anhängige Verfahren rechtskräftig entschieden sein wird, wird dies auch die beim Landgericht noch anhängigen Verfahren deutlich entlasten, weil Klarheit darüber bestehen wird, wie bes...

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