Leitsatz (amtlich)
Keine Aussetzung von Individualstreitverfahren im VW-Abgasskandal wegen Anhängigkeit der Musterfeststellungsklage
Normenkette
ZPO §§ 148, 613
Tenor
1. Das Beschwerdeverfahren wird wegen grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat übertragen (§ 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO).
2. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss der Einzelrichterin der 17. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 9. Januar 2019, mit welchem die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung der Musterfeststellungsklage vor dem Oberlandesgericht Braunschweig - 4 MK 1/18 - angeordnet worden ist, aufgehoben.
3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger, Erwerber eines Fahrzeugs der Marke X, begehrt von der Beklagten im Wege des Schadensersatzes die Rücknahme des Fahrzeugs Zug um Zug gegen Erstattung des Kaufpreises, hilfsweise die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz.
Der Kläger erwarb das beschriebene Fahrzeug am 6. Dezember 2012, wobei er seinem Vortrag nach auf ein umweltfreundliches und wertstabiles Fahrzeug Wert legte. Unstreitig ist der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs vom sogenannten "VW-Abgasskandal" betroffen. Mithin hatte der Beklagte die Software des Motors derart modifiziert, dass nur auf dem Prüfstand Abgaswerte gemessen wurden, die auch die angegebene Euro-Abgasnorm 5 einhalten. Entsprechende Werte zur Einhaltung der Euro-Abgasnorm 5 wurden bei normalem Betrieb auf der Straße hingegen nicht erreicht. Die Beklagte wendet sich gegen eine Inanspruchnahme ihrerseits.
Mit gerichtlicher Verfügung vom 4. Dezember 2018 hat das Landgericht die Parteien um Stellungnahme dazu gebeten, ob sie im Hinblick auf die bei dem OLG Braunschweig zu 4 Mk 1/18 anhängige Musterfeststellungsklage mit einer Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO einverstanden sei oder auch mit dem Ruhen des Verfahrens gemäß § 251 ZPO. Das Gericht halte eine derartige Verfahrensweise für prozessökonomisch und sinnvoll. Während die Beklagte ihr Einverständnis mit einer Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO mitgeteilt hatte, hat der Kläger sich weder mit einer Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO einverstanden erklärt noch mit dem Ruhen des Verfahrens gemäß § 251 ZPO.
Mit Beschluss vom 9. Januar 2019 hat das Landgericht die Aussetzung bis zur Entscheidung der Musterfeststellungsklage angeordnet. Das Landgericht hat sich hierbei auf eine entsprechende Anwendung von § 148 ZPO gestützt und die Aussetzung sowohl aus prozessökonomischen Gründen und auch aus Gründen der Vermeidung einer Rechtsunsicherheit bei einer Vielzahl von parallelen Einzelprozessen befürwortet.
Hiergegen richtet sich die fristgemäß erhobene sofortige Beschwerde des Klägers. Er habe sich bewusst dafür entschieden, einen Individualrechtsstreit gegen die Beklagte zu führen. Ein Zuwarten auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts in dem Musterstellungsverfahren sei für ihn unzumutbar. Auch bestehe - wie § 613 Abs. 2 ZPO zeige - keine Regelungslücke.
II. Die zulässige Beschwerde, über welche nach Übertragung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der Senat in voller Besetzung entscheidet, hat Erfolg. Der Beschluss über die angeordnete Aussetzung war aufzuheben, weil für eine gegen den Willen des Klägers angeordnete Aussetzung eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich ist.
Noch zu Recht stützt das Landgericht seine Aussetzungsentscheidung bereits nicht auf eine unmittelbare Anwendung des § 148 ZPO. Diese muss nämlich bereits daran scheitern, dass in dem fraglichen Musterfeststellungsverfahren zwar sachlich parallele, aber nicht im Sinne eines Rechtsverhältnisses vorgreifliche Fragen behandelt werden. Und auch die Bindungswirkung eines möglichen Musterfeststellungsurteils betrifft gemäß § 613 Abs. 1 ZPO n. F. nur Verbraucher, die die Geltendmachung ihrer Ansprüche gemäß § 608 ZPO n. F. im Klageregister angemeldet haben. Dass dies der Fall sein könnte, ist nicht ersichtlich. Vielmehr hat der Kläger sich eigener Darlegung nach bewusst für ein Individualverfahren entschieden. Hätte er nach dessen Einleitung gleichwohl noch eine Anmeldung vorgenommen, würde es zu einer Aussetzung aufgrund der - im Verhältnis zu § 148 ZPO - spezielleren Regelung des § 613 Abs. 2 ZPO kommen.
Ist damit allein die Berechtigung der vom Landgericht angenommenen Analogie zu § 148 ZPO zu erörtern, fehlt es aber - wie es der Kläger in seiner Beschwerdebegründung auch hervorgehoben hat - in der Tat bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Wie nämlich die gerade erwähnte Vorschrift des § 613 Abs. 2 ZPO zeigt, hat der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Konkurrenz zwischen bereits anhängigem Individualverfahren und einem Musterfeststellungsverfahren durchaus gesehen. Er hat sich aber dafür entschieden, eine - dann auch obligatorische - Aussetzung nur dann vorzusehen, wenn der Anspruchsteller des Individualverfahrens auch zugleich angemeldeter Anspr...