Leitsatz (amtlich)
Es stellt regelmäßig keine anwaltliche Pflichtverletzung dar, wenn der Rechtsanwalt (ohne ausdrückliche anderslautende Weisung) sich im Arzt- bzw. Zahnarzthaftungsprozess auf die Geltendmachung von Schmerzensgeld und den Antrag auf Feststellung von materiellen Schäden beschränkt, nicht aber materielle Schäden bereits beziffert.
Normenkette
BGB §§ 280, 611
Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 12.05.2017; Aktenzeichen 8 O 487/16) |
Tenor
Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das am 12.05.2017 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 8 O 487/16 - gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Hinweis innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses (§ 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO).
Gründe
I. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Urteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht noch nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1 ZPO). Zu Recht hat das Landgericht die Beklagte zur Zahlung von Anwaltshonorar in Höhe von 3.045,81 EUR nebst Zinsen verurteilt und die Widerklage abgewiesen. Der Senat nimmt auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug und macht sie sich zu Eigen. Im Hinblick auf die mit der Berufung vorgebrachten Einwände sieht sich der Senat lediglich zu folgenden, ergänzenden Anmerkungen veranlasst:
Nachdem die Beklagte den Anwaltsvertrag, der als ein Vertrag über Dienste höherer Art zu qualifizieren ist, mit Schreiben vom 05.03.2016 gekündigt hat, kann die Klägerin zu 1) eine Vergütung für die bis dahin erbrachten Leistungen verlangen, § 628 Abs. 1 S. 1 BGB. Auf den Wegfall des Anspruchs nach § 628 Abs. 1 S. 2, 2. Alt. BGB kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen. Nach dieser Vorschrift steht dem Dienstverpflichteten kein Vergütungsanspruch zu, wenn er durch ein vertragswidriges Verhalten die Kündigung des Dienstberechtigten veranlasst hat, soweit seine bisherigen Leistungen infolge der Kündigung für den Dienstberechtigten kein Interesse mehr haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lässt nicht jeder geringfügige Vertragsverstoß den Entgeltanspruch entfallen. Es muss sich um eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung handeln, wobei auf das Verhalten abzustellen ist, auf das die Kündigung gestützt worden ist (BGH, Urteil vom 29.03.2011, VI ZR 133/10).
Eine Verletzung anwaltlicher Pflichten durch den Kläger zu 2), welche sich die Klägerin zu 1) zurechnen lassen müsste, ist im vorliegenden Fall nicht festzustellen. Die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat auch mit der Berufungsbegründung nicht schlüssig dargetan, dass der Kläger zu 2) bei der Bearbeitung des Mandates Dr. J u.a. anwaltliche Pflichten verletzt hat. Soweit sie ihm eine zögerliche Bearbeitung vorwirft, legt sie nicht substanziiert dar, welche konkret geschuldeten Tätigkeiten der Kläger zu 2) zu welchem Zeitpunkt auch unter Berücksichtigung einer angemessenen Bearbeitungszeit unterlassen hat. Die Klägerin zu 1) hat hingegen durch Vorlage einer Vielzahl von Schreiben nachvollziehbar dargelegt, welche Schritte der Kläger zu 2) unternommen hat, um die durch Urteil des Landgerichts Aachen vom 19.12.2014 (Az. 11 O 435/12) festgestellte Schadensersatzpflicht der Ärzte Dr. J u.a. außergerichtlich durchzusetzen.
Soweit die Beklagte geltend macht, der Kläger zu 2) hätte in dem vor dem Landgericht Aachen geführten Prozess gegen die zahnärztlichen Behandler nicht nur einen Feststellungstitel erwirken dürfen, sondern auch materielle Schadensersatzansprüche, insbesondere unter Einbeziehung des Verdienstausfalls einklagen müssen, kann der Senat ein vertragswidriges Verhalten des Klägers zu 2) nicht erkennen. Eine ausdrückliche Weisung, materielle Schadensersatzansprüche zu beziffern und einzuklagen, hat die Beklagte den Klägern unstreitig nicht erteilt. Auch unter Berücksichtigung ihres Wunsches, auf schnellstmöglichen Weg eine Zahlung der Gegenseite zu erwirken, kann die prozessuale Vorgehensweise des Klägers zu 2) nicht beanstandet werden. Es war vielmehr im Sinne einer möglichst schnellen Erfüllung der Ansprüche ratsam, im Prozess zunächst neben einem Schmerzensgeld einen Feststellungstitel zu erwirken, um nach Abschluss des Verfahrens konkret bezifferte Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Die Einbeziehung von Ansprüchen auf Erstattung von Verdienstausfall in das Gerichtsverfahren hätte, insbesondere vor dem Hintergrund der nach Erlass des Urteils zwischen den Parteien streitig gewordenen Frage, ob die Arbeitsunfähigkeit der Beklagten kausal auf den Behandlungsfehler zurückzuführen war und nicht zuletzt wegen der bei selbstständig Tätigen regelmäßig problematischen Frage der Höhe des erlittenen Verdienstausfalls voraussichtlich zu erheblichen Verzögerungen des Gerichtsverfahrens geführt. Dagegen bestand eine realistische Chance, nac...