Verfahrensgang

LG Aachen (Entscheidung vom 01.10.2004; Aktenzeichen 91 KLs 15/04)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 08.03.2006; Aktenzeichen 2 BvR 486/05)

 

Tenor

  • I.

    Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

    Der Wiederaufnahmeantrag wird als unzulässig verworfen.

  • II.

    Gerichtskosten werden für das gesamte Verfahren nicht erhoben.

    Ihre eigenen notwendigen Auslagen tragen die Antragsteller selbst.

 

Gründe

I.

Am 12. September 1944 waren zur Verteidigung gegen herannahende alliierte Truppen Einheiten der Wehrmacht in die Stadt Aachen eingerückt. Am 13. September 1944 waren die beiden damals 14-jährigen Aachener Jugendlichen K. S. und J. H. in Aachen unterwegs.

Auf der P.straße wurden K. S. und J. H. zusammen mit einer Gruppe von Erwachsenen durch Wehrmachtsangehörige unter dem Vorwurf des Plünderns festgenommen und zum V.platz verbracht. Dort wurde ein von Angehörigen eines der 116. Panzerdivision unterstellten Regimentes gebildetes Standgericht eingesetzt, vor das nur die beiden Jugendlichen gestellt wurden, während die erwachsenen Personen freigelassen wurden. K. S. und J. H. wurden wegen Plünderns zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde unmittelbar danach durch Erschießen vollstreckt.

Ein im Jahre 1951 auf Strafanzeige der Eltern von K. S. und des Vaters von J. H. von der Staatsanwaltschaft Aachen eingeleitetes Ermittlungsverfahren (Az 6 Js 1742/50) wurde nach Vernehmung mehrerer Zeugen (Zivilpersonen und Wehrmachtsangehörige) eingestellt. In der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Aachen vom 13.11.1952 wird ausgeführt, dass weder die Mitglieder des Standgerichts hätten ermittelt, noch der Tatbestand, der dem Urteil zugrunde gelegt worden sei, habe festgestellt werden können. Ein Todesurteil gegen Jugendliche wegen Plünderns sei nach damaligem Recht zulässig gewesen, so dass der - damals noch lebende - Führer des Exekutionskommandos das Urteil für rechtmäßig habe halten können, der im übrigen bei Befehlsverweigerung mit Gefahr für sein eigenes Leben habe rechnen müssen.

Mit "Anträgen auf Rehabilitierung" vom 25.,26. und 28.08.2003 wandten sich Angehörige von K. S. und J. H. an die Staatsanwaltschaft Aachen. Darin wird - in unterschiedlichen Formulierungen - sinngemäß eine "rechtliche Klärung über Schuld und Unschuld" durch die Staatsanwaltschaft erstrebt; die Jungen hätten sich "nichts zu Schulden kommen lassen, was die Todesstrafe gerechtfertigt hätte"; beide Jungen seien "auch nach damaligem Recht unschuldig" gewesen.

Nachdem die Angehörigen unter dem 02.02.04 in einer Sachstandsanfrage um Mitteilung gebeten hatten, "wann seitens der Staatsanwaltschaft mit einem Wiederaufnahmeantrag an das Landgericht zu rechnen sei", erteilte die Staatsanwaltschaft Aachen unter dem 11.02.2004 folgende Bescheinigung :

Die Verurteilung zum Tode des K. S. und des J. H. durch ein am 13.09.1944 in Aachen konstituiertes Standgericht ist gemäß § 1 Satz 1 des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhG) aufgehoben.

Die Bescheinigung wurde den Antragstellern mit folgendem Begleitschreiben übersandt :

Die auf Ihre Anträge vorgenommene Prüfung hat zu der Feststellung geführt, dass die Verurteilung Ihrer Angehörigen zum Tode ... gemäß § 1 Satz 1 NS-AufhG aufgehoben ist.

Diese Feststellung beruht entscheidend auf dem Umstand, dass die seinerzeit 14-jährigen Jungen gemeinsam mit erwachsenen mutmaßlichen Plünderern auf frischer Tat betroffen wurden, letztere aber offenbar mit ihrem Leben davon gekommen sind.

Eine solch willkürliche Reaktion - Tötung von Kindern; Laufenlassen von Erwachsenen - auf ein dem Grunde nach strafwürdiges Verhalten schließt die Annahme aus, dass die Verurteilung der Kinder zum Tode noch der Rechtspflege Diente. Vielmehr ist mit den Händen zu greifen, dass es sich um bloße Willkür im Dienste eines Willkürregimes handelte, die allein der Aufrechterhaltung der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft diente.

Die Erteilung der beigefügten Bescheinigung beruht auf § 6 Abs.1 S.1 NS-AufhG.

Damit entfällt zugleich ein Bedürfnis für die in Ihrem Schreiben vom 02.02.2004 begehrte Wiederaufnahme des Verfahrens.

Mit Schreiben vom 27.02.2004 baten die Antragsteller um ergänzende Feststellungen. Da die Jungen nicht geplündert hätten, hätten sie als völlig unschuldig zu gelten. Des weiteren möge die Verantwortlichkeit des Kommandeurs der 116. Panzerdivision ("Windhunddivision"), des Grafen von S., für die standrechtliche Aburteilung von Plünderern festgestellt werden.

Mit Antwortschreiben vom 01.03.04 führte die Staatsanwaltschaft Aachen aus, dass die von den Antragstellern aufgeworfenen Fragen für die bereits erfolgte Feststellung der Aufhebung des Urteils ohne Belang seien; es könne dahinstehen, ob die Jungen tatsächlich geplündert hätten; zu einer weitergehenden Prüfung bestehe kein Anlaß. Das gelte auch für die Rolle des Grafen von S., dessen etwaige Verantwortlichkeit für den Tod der Jungen nur einer historischen Betrachtung, jedoch keiner justiziellen Prüfung zugänglich sei.

M...

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