Leitsatz (amtlich)
1. Nimmt ein Berufungskläger eine zulässige Berufung auf einen Wert unterhalb der Beschwerdesumme von 600 EUR zurück, wird die Berufung unzulässig.
2. Die diesbezügliche einschränkende Auslegung des § 4 Abs. 1 ZPO, der zusammen mit § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu lesen ist, rechtfertigt sich aus dem Sinn der Vorschrift, einerseits Rechtssicherheit und Rechtsklarheit über Zuständigkeits- und Zulässigkeitsfragen zu schaffen, andererseits aber auch auf Fälle zu reagieren, in denen der Berufungsführer aus eigener Entschließung, also nicht als bloße Reaktion auf ein Verhalten seines Gegners, nachträglich den Berufungsantrag auf einen Wert beschränkt, der die gesetzlich geforderte Berufungssumme unterschreitet.
3. Eine Teilberufungsrücknahme kann nicht gem. §§ 119 ff. BGB angefochten werden, da Prozesshandlungen mangels entsprechende Vorschriften aus dem BGB in der ZPO, auch zur Vermeidung von Unsicherheiten, nicht der Anfechtung unterliegen.
4. Die Anfechtungserklärung einer Teilberufungsrücknahme lässt sich nicht in einen Widerruf derselben umdeuten.
Verfahrensgang
LG Köln (Aktenzeichen 26 O 340/16) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 25. November 2020 - 26 O 340/16 - wird als unzulässig zu verworfen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das angefochtene Urteil ist (auch) für die Beklagte ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
Nach der teilweisen Rücknahme seiner Berufung im Schriftsatz vom 29. Juni 2021 in Höhe von 119,57 EUR beträgt die mit der Berufung angegriffene Beschwer des Klägers lediglich noch (717,31 EUR - 119,57 EUR =) 597,74 EUR. Der Wert des Beschwerdegegenstandes erreicht daher nicht mehr die Berufungssumme von mehr als 600 EUR und die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist entfallen. Da die Berufung damit unzulässig geworden ist, ist sie gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO aus den Gründen des Hinweisbeschlusses vom 18. August 2021, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, zu verwerfen. Die Stellungnahme des Klägers in den Schriftsätzen vom 4. und vom 5. Oktober 2021 stellt dieses Ergebnis nicht infrage.
Dem Kläger mag allerdings einzuräumen sein, dass die Verwendung des Wortes "willkürlich" im gegebenen Zusammenhang missverständlich sein kann, weil ihm im allgemeinen Sprachgebrauch eine negative Konnotation anhaftet. Da es gerade nicht darum geht, rechtsmissbräuchliches oder vorwerfbares Verhalten zu sanktionieren, mag es daher angemessener sein, auch fachsprachlich das Wort "freiwillig" zu benutzen, wie es etwa das Bundesarbeitsgericht in seinen Urteilen vom 19. Januar 2006 - 6 AZR 259/05 - (AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 39) und vom 23. Februar 2016 - 3 AZR 230/14 - (NJW 216, 1900) tut. Dabei folgt das Bundesarbeitsgericht wie der Senat in der Sache der im Hinweisbeschluss zitierten Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs.
Diese Rechtsprechung wird auch nicht durch den vom Kläger angeführten Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 24. November 2020 - VI ZB 57/20 - (VersR 2021, 667) infrage gestellt, der eine andere Problematik behandelt, nämlich die der ausreichenden Berufungsbegründung hinsichtlich des nach einer Teilrücknahme verbleibenden Restes des Rechtsmittels.
Dem Kläger mag weiter darin zuzustimmen sein, dass auch das Reichsgericht des Jahres 1941 kritisch zu sehen ist. Einen Zusammenhang zwischen nationalsozialistischem Gedankengut oder nationalsozialistischer Staatsräson und der Lösung der hier zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage durch den Beschluss vom 10. Dezember 1941 legt der Kläger in seiner Stellungnahme jedoch nicht dar und ist für den Senat auch nicht zu erkennen.
Die hier in Rede stehende einschränkende Auslegung des § 4 Abs. 1 ZPO rechtfertigt sich aus dem Zweck der Vorschrift, möglichst Rechtssicherheit und Klarheit über Zuständigkeits- und Zulässigkeitsfragen zu schaffen, gleichzeitig aber angemessen auf Fälle zu reagieren, in denen der Berufungsführer aus eigener Entschließung, also nicht als bloße Reaktion auf ein Verhalten seines Gegners, nachträglich den Berufungsantrag auf einen Wert beschränkt, der die gesetzlich für die Zulässigkeit der Berufung geforderte Berufungssumme unterschreitet.
Die vom Kläger nun vorsorglich erklärte Anfechtung der teilweisen Klagerücknahme gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB greift nicht. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Kläger sich zu Unrecht darauf stützt, der Senat habe seinem Prozessbevollmächtigten mit der Verwendung des Wortes "willkürlich" ein vorwerfbares Verhalten unterstellt. Die Berufungsrücknahme unterliegt nämlich als Prozesshandlung nicht der Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB. Die Zivilprozessordnung enthält keine den bürgerlichrechtlichen Anfechtungsregelungen entsprechende Vorschriften. Auch eine analoge Anwendung der für privatrechtliche Willenserklärungen geltenden Anfechtun...