Leitsatz (amtlich)
1. Für die Beurteilung, ob der Wert einer Berufung die Grenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erreicht, ist zwar grundsätzlich der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels maßgebend. Eine zunächst zulässige Berufung kann jedoch unzulässig werden, falls der Berufungskläger seinen Berufungsantrag willkürlich auf einen unterhalb der Berufungssumme liegenden Wert beschränkt.
2. Mit "willkürlich" ist dabei nicht ein rechtsmissbräuchliches oder vorwerfbares Verhalten des Berufungsklägers gemeint, das zu sanktionieren wäre. Auch solche Fälle werden hiervon erfasst, in denen er den Berufungsantrag nachträglich aus eigener Entschließung - also nicht als Reaktion auf ein Verhalten seines Gegners - auf einen Wert bis 600 EUR beschränkt.
3. Dabei kommt es nicht darauf an, welches Motiv der Berufungskläger dabei verfolgte. Unerheblich ist somit auch, ob der Berufungskläger sich zur teilweisen Berufungsrücknahme durch Hinweise des Senats zur teilweisen Unbegründetheit der Berufung veranlasst sah.
Verfahrensgang
LG Köln (Aktenzeichen 26 O 340/16) |
Tenor
Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 25. November 2020 - 26 O 340/16 - als unzulässig zu verwerfen.
Dementsprechend ist beabsichtigt, von der Beweisaufnahme gemäß Ziffer II. des Beschlusses vom 11. Juni 2021 abzusehen.
Dem Kläger wird Gelegenheit gegeben, hierzu binnen 3 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.
Gründe
Aufgrund der teilweisen Rücknahme seiner Berufung im Schriftsatz vom 29. Juni 2021 in Höhe von 119,57 EUR beträgt die mit der Berufung angegriffene Beschwer des Klägers lediglich noch (717,31 EUR - 119,57 EUR =) 597,74 EUR. Der Wert des Beschwerdegegenstandes erreicht daher nicht mehr die Berufungssumme von mehr als 600 EUR. Damit ist die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO entfallen.
Für die Beurteilung, ob der Wert des vom Berufungskläger geltend gemachten Beschwerdegegenstands die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erreicht, ist zwar grundsätzlich der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels maßgebend (BGH, Beschl. v. 10.1.2017 - VIII ZR 98/16, MDR 2017, 725 m.w.Nachw.). Eine zunächst zulässige Berufung eines Berufungsklägers, dessen Beschwer die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erreicht, kann jedoch unzulässig werden, falls dieser willkürlich seinen Berufungsantrag auf einen unterhalb der Berufungssumme liegenden Wert beschränkt (ständige Rechtsprechung; vgl. Großer Senat für Zivilsachen des RG, Beschl. v. 10.12.1941 - 1/41, V 5/40, RGZ 168, 355; BGH, Urt. v. 19.12.1950 - I ZR 7/50, BGHZ 1, 51 = NJW 1951, 159; BGH, Beschl. v. 10.1.2017 - VIII ZR 98/16, MDR 2017, 725 m.w.Nachw.). Mit "willkürlich" ist dabei nicht ein rechtsmissbräuchliches oder vorwerfbares Verhalten des Berufungsklägers gemeint, das zu sanktionieren wäre. Es geht vielmehr um die Erfassung der Fälle, in denen der Berufungsführer aus eigener Entschließung, also nicht als Reaktion auf ein Verhalten seines Gegners, nachträglich den Berufungsantrag auf einen die gesetzlich für die Zulässigkeit der Berufung geforderte Berufungssumme unterschreitenden Wert beschränkt. Dabei kommt es demzufolge, anders als der Kläger meint, nicht darauf an, welches Motiv der eigenen Entschließung des Berufungsführers zur Beschränkung des Rechtsmittels zugrunde liegt, sodass es unerheblich ist, dass sich die teilweise Berufungsrücknahme des Klägers als Reaktion auf die vom Senat im Beschluss vom 11. Juni 2021 erteilten Hinweise darstellt. Etwas anderes würde dem Zweck der seit dem Beschluss des Großen Zivilsenats des Reichsgerichts vom 10. Dezember 1941 - 1/41, V 5/40 - (RGZ 168, 355) ständigen Rechtsprechung zuwiderlaufen, die Frage der Zulässigkeit der Berufung möglichst von Wertungsfragen und Streit freizuhalten.
Gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO wird die Berufung daher zu verwerfen sein.
Fundstellen
AnwBl 2021, 690 |
MDR 2021, 1350 |
MDR 2022, 17 |