Entscheidungsstichwort (Thema)

Erforderliche Sachaufklärung zur Kindeswohlfrage

 

Leitsatz (amtlich)

Maßstab für die Entscheidung nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist stets das Kindeswohl. Gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls sind die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung (Erziehungseignung) und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens (so BGH FamRZ 2011, 796-801; FamRZ 1990, 392, 393 m.w.N.). Die einzelnen Kriterien stehen aber letztlich nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (FamRZ 1990, 392, 393 m.w.N.; FamRZ 2010, 1060). Erforderlich ist eine alle Umstände des Einzelfalls abwägende Entscheidung. Hierbei sind alle von den Verfahrensbeteiligten vorgebrachten Gesichtspunkte in tatsächlicher Hinsicht soweit wie möglich aufzuklären und unter Kindeswohlgesichtspunkten gegeneinander abzuwägen, um eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen (vgl. BVerfG FamRZ 2009, 1897; BGH FamRZ 2010, 1060).

Ist ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern trotz zahlreicher Vermittlungsbemühungen nicht gegeben (vgl. BGH FamRZ 2008, 592), ist eine dem Kindeswohl entsprechende gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung nicht möglich. Es ist nicht zu beanstanden, dass für eine Übertragung des Sorgerechts auf die Kindesmutter entscheidend auf die vorhandenen Bindungen des Kindes zur Mutter und den Grundsatz der Kontinuität abgestellt wird.

Ein am Sorgerechtsverfahren Beteiligter hat keinen "Anspruch" darauf, dass ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger sich bei der Erstellung seines Gutachtens zur Sorgerechtsfrage bestimmter Tests oder Methoden bedient. Vielmehr ist der Sachverständige im Rahmen seiner fachlichen Qualifikation frei, die Tests bzw. Untersuchungsmethoden auszuwählen, die wissenschaftlich anerkannt und nach seiner fachkundigen Meinung zielführend sind. So kann die Richtigkeit eines Gutachtens nicht allein damit erfolgreich angezweifelt werden, der Sachverständige habe "explizit" auf eine Interaktionsbeobachtung mit dem Vater verzichtet. Vielmehr hat der Beschwerdeführer darzulegen, dass die vom Sachverständigen hierfür genannten Gründe wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht standhalten und das Gutachten daher "falsch" ist.

Die persönliche Anhörung eines vier Jahre alten Kindes durch das Gericht kann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn die verfahrensimmanenten Belastungen des Kindes dies unter Kindeswohlgesichtspunkten angezeigt erscheinen lassen und eine Kindesanhörung durch das Gericht unter Berücksichtigung der sachverständigerseits festgestellten konkreten altersbedingten Einsichtsfähigkeit des Kindes ohnehin wenig zielführend ist und der plausible Kindeswille angesichts der umfangreichen Begutachtung sowie der Berichte des Jugendamtes, der Umgangspflegerin und des gerichtlich bestellten Verfahrensbeistands wie auch der Mitarbeiter des Kinderschutzbundes im Rahmen des begleiteten Umgangs für das Gericht überzeugend verlässlich attestiert ist.

 

Verfahrensgang

AG Bonn (Beschluss vom 15.07.2011; Aktenzeichen 407 F 143/09)

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des AG Bonn vom 15.7.2011 (407 F 143/09) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.

Der Antrag des Antragsgegners auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird mangels Erfolgsaussichten seines Rechtsmittels zurückgewiesen.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das AG die elterliche Sorge für das gemeinsame Kind E. auf die Kindesmutter allein übertragen. Der Senat nimmt Bezug auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.

Nach § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der elterlichen Sorge stattzugeben, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den antragstellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Eine dem Kindeswohl entsprechende gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus (vgl. BGH FamRZ 2008, 592).

Maßstab für die Entscheidung nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist stets das Kindeswohl. Gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls sind die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung (Erziehungseignung) und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens (so BGH FamRZ 2011, 796-801; FamRZ 1990, 392, 393 m.w.N.). Die einzelnen Kriterien stehen aber letztlich nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Ei...

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