Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörung des Betroffenen in der Beschwerdeinstanz
Leitsatz (amtlich)
Ist die Anhörung des Betroffenen im Betreuungsverfahren zwingend vorgeschrieben (hier: § 1907 Abs. 1 BGB - Kündigung einer Mietwohnung), so kann auch in zweiter Instanz davon nicht abgesehen werden, wenn die Anhörung durch das AG über sechs Monate zurückliegt.
Normenkette
FGG § 69g Abs. 5
Verfahrensgang
LG Aachen (Beschluss vom 27.08.2008; Aktenzeichen 3 T 128/08) |
AG Aachen (Aktenzeichen 71 XVII K 2221) |
Tenor
Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1. wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Aachen vom 27.8.2008 - 3 T 128/08 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Dem Betroffenen wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin O., Z-straße X, X B. als Verfahrensbevollmächtigte beigeordnet.
Gründe
Die zulässige weitere Beschwerde hat insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung an das LG führt, dessen Entscheidung aus Rechtsgründen (§ 27 FGG, 546 ZPO) nicht bestehen bleiben kann.
Die Entscheidung des LG ist nicht verfahrensfehlerfrei zustande gekommen, da das LG die Anforderungen aus § 12 FFG nicht ausreichend beachtet und den Betroffenen nicht angehört hat.
Zwar hat das LG die vor einer Entscheidung nach § 1907 Abs. 1 BGB erforderlichen Ermittlungen im Umfeld des Betroffenen durchgeführt. Indessen hat es die darüber hinaus auch gebotene erneute Anhörung des Betroffenen nicht durchgeführt. Bei einer Entscheidung nach § 1907 Abs. 1 BGB (Kündigung der Mietwohnung) ist - für die erste Instanz - die Anhörung des Betroffenen zwingend vorgesehen, § 69d Abs. 1 Satz 2 FGG. Dem ist das AG nachgekommen. Für das Beschwerdeverfahren gelten grundsätzlich dieselben Verfahrensregeln wie für die erste Instanz, so dass im Regelfall eine Anhörung des Betroffenen zu wiederholen ist, § 69g Abs. 5 FGG (st. Rspr. des OLG Köln, vgl. Beschluss vom 9.7.207 - 16 Wx 94/07; vom 7.5.2007 - 16 Wx 79/07; vom 7.3.2007 - 16 Wx 17/07). § 69g Abs. 5 Satz 3 FGG erlaubt ein ausnahmsweises Absehen von der Anhörung, wenn keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Dazu haben sich in Rechtsprechung und Schrifttum verschiedene Fallgruppen herausgebildet, in denen von einer Anhörung nicht abgesehen werden darf (dazu Zusammenstellung bei Jurgeleit, Betreuungsrecht, § 69g FGG Rz. 130; Damrau/Zimmermann, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 69g FGG Rz. 50). Danach kann u.a. dann nicht von einer Anhörung abgesehen werden, wenn die Anhörung durch das AG längere Zeit zurückliegt. Zwar gibt es keine feste Grenze, deren Überschreiten eine Anhörung zwingend gebietet. Allerdings werden Zeiträume von über sechs Monate regelmäßig als zu lang angesehen. Für diese Zeitgrenze spricht die Fassung des § 69i Abs. 1 Satz 2 FGG, dessen gesetzgeberische Wertung auch als Maßstab für die Erforderlichkeit einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren herangezogen werden kann (so überzeugend Jurgeleit, Betreuungsrecht, § 69g FGG Rz. 130m.w.N.). Da im vorliegenden Fall die Anhörung durch das Erstgericht bereits am 13.11.2007 erfolgt ist, somit neun Monate zurücklag, als das LG entschieden hat, war allein wegen der derartig lang zurückliegenden Anhörung eine erneute Anhörung zwingend geboten (vgl. auch OLG Frankfurt v. 17.11.2005, FamRZ 2006, 1876, wonach auf eine zeitnahe persönliche Anhörung in der Beschwerdeinstanz bei einer Genehmigungsentscheidung nach § 1907 Abs. 1 BGB nicht verzichtet werden kann).
Die landgerichtliche Entscheidung kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist unter Aufhebung der Entscheidung an das LG zur erneuten Behandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Dem bedürftigen Betroffenen ist aus den Gründen des Beschlusses Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Fundstellen
Haufe-Index 2130771 |
FamRZ 2009, 814 |
FGPrax 2009, 71 |
BtPrax 2009, 80 |
BtMan 2009, 101 |
OLGR-Mitte 2009, 563 |