Leitsatz (amtlich)

Ein Ehegatte, der aus der ehelichen Wohnung ausgezogen ist und fortan getrennt gelebt hat, kann von dem in der Wohnung verbliebenen Ehegatten i.d.R. Freistellung von Mietverbindlichkeiten aus der ehemals gemeinsamen Wohnung verlangen, wenn diese Verbindlichkeiten mehrere Monate nach der Scheidung der Ehe entstanden sind. In einem solchen Fall ist bezüglich der Haftung der Gesamtschuldner im Innenverhältnis stillschweigend „ein anderes bestimmt” (§ 426 Abs. 1 S. 2, 2. HS BGB).

Dem die Wohnung allein nutzenden Beklagten, der in erster Instanz obsiegt hat, ist entgegen der Regel des § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren zu versagen, wenn das erstinstanzliche Urteil i.E. und in der Begründung offensichtlich falsch ist. Das ist dann der Fall, wenn weder die nach der Fallgestaltung sich aufdrängenden Rechtsnormen angewendet worden sind, noch eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen höchstrichterlichen oder obergerichtlichen Rspr. erfolgt ist.

 

Normenkette

BGB § 426; ZPO § 119

 

Verfahrensgang

LG Köln (Aktenzeichen 20 O 662/01)

 

Tenor

Das Prozesskostengesuch des Beklagten wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Mit der Klage begehrt die Klägerin von dem Beklagten Freistellung in Höhe eines nunmehr feststehenden Betrages – von 6.150 Euro. Dabei handelt es sich um Mietzinsverpflichtungen, welche aus der ehemals gemeinsamen Familienwohnung stammen, und welche nach dem Auszug der Klägerin und nach der Scheidung der Ehe entstanden sind.

Das LG hat die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe nicht den Nachweis dafür führen können, dass sie mit dem Beklagten vereinbart habe, dass dieser im Verhältnis zur Klägerin nach deren Auszug die Mietverbindlichkeiten allein übernehmen sollte.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin, für deren Durchführung ihr der Senat durch Beschluss vom 26.1.2003 Prozesskostenhilfe bewilligt hat.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 24.3.2003 den Antrag angekündigt, die Berufung zurückzuweisen. Er hat Widerklage erhoben, mit der er von der Klägerin seinerseits Freistellung in Höhe der Hälfte der Verbindlichkeiten aus dem ehemaligen Mietverhältnis begehrt. Zugleich beantragt er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

II. Die begehrte Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da die Rechtsverteidigung bzw. -verfolgung des Beklagten keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO). Zwar hat der Beklagte mit seinem Klageabweisungsbegehren in erster Instanz in vollem Umfang Erfolg gehabt, so dass gem. § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO die Erfolgsaussichten seiner Rechtsverteidigung im Berufungsverfahren i.d.R. nicht zu prüfen ist. Die Vorschrift beruht auf dem Grundgedanken, dass das Urteil der Vorinstanz eine Vermutung dafür begründe, dass die Verteidigung gegen ein Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg bietet. Die Anwendung des § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO ist im Ausnahmefall aber dann nicht gerechtfertigt, wenn das angefochtene Urteil offensichtlich falsch ist. In einem solchen Fall entbehrt die in der Vorschrift enthaltene Vermutung einer hinreichenden Grundlage (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 23. Aufl., § 119 Rz. 56; Steinjonas/Bork, ZPO, § 119 Rz. 23, Wax in MünchKomm, ZPO, § 119 Rz. 39). Eine solche Fallgestaltung ist vorliegend gegeben:

Soweit das LG der Klägerin nicht einmal in Höhe der Hälfte der bestehenden Mitverbindlichkeiten (3.075 Euro) versagt hat, hat die Kammer die Vorschrift des § 426 Abs. 1 S. 1 BGB (offensichtlich aus versehen) nicht angewendet (das ist der Fall, wenn eine nach den Umständen des Sachverhalt offensichtlich eingreifende Rechtsnorm nicht geprüft und/oder eine Auseinandersetzung mit einschlägiger höchstrichterlicher/obergerichtlicher Rechtssprechung nicht erfolgt ist). Danach sind Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Das LG hätte daher, selbst wenn es zu der Auffassung gelangt war, der Beklagte habe ihr ggü. die volle Haftung für die Mietverbindlichkeiten nicht übernommen, jedenfalls in Höhe der Hälfte der Mietverbindlichkeiten freistellen müsse. Dies stellt noch nicht einmal der Beklagte in Abrede, wie sich der Berufungserwiderung (Bl. 151 d.A.) entnehmen lässt.

Darüber hinaus haben die Parteien zumindest konkludent „ein anderes bestimmt”, § 426 Abs. 1 S. 2 2. HS BGB, so dass auch der weiter gehende Freistellungsanspruch bis zur Höhe von 6.150 Euro begründet ist. Zwar ist str., ob die Parteien eine ausdrückliche Freistellungsvereinbarung getroffen habe. Der vom LG dazu durchgeführten Beweisaufnahme hätte es insoweit nicht bedurft, denn aus den Umständen lässt sich bereits eine entspr. konkludente Abrede zweifelsfrei entnehmen. Insoweit hat sich das LG nicht mit der zu diesem Problemkreis ergangenen obergerichtlichen Rspr. (vgl. OLG München FamRZ 1996, 291; OLG Hamburg v. 18.5.2001 – 8 U 177/00, NJW-RR 2001, 1012 [1013]; OLG Düsseldorf v. 24.10.1997 – 22 U 43/97, OLGReport Düsseldor...

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