Leitsatz (amtlich)

Auf die Anmeldung einer Musterfeststellungsklage nach § 608 Abs. 1 ZPO ist § 222 Abs. 2 ZPO anwendbar.

 

Normenkette

ZPO § 222 Abs. 2, § 608 Abs. 1

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 31.03.2021; Aktenzeichen IV AR(VZ) 6/20)

 

Tenor

Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.12.2019 - 3700/E2-KlagRE-2/2018 - 614710, wird aufgehoben. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers werden der Staatskasse auferlegt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der Geschäftswert des Verfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Antragsteller hat am Montag, dem 30.09.2019, um 7:05 Uhr eine Anmeldung von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zu der Musterfeststellungsklage gegen die A AG (OLG Braunschweig, 4 MK 1/18) über das auf der Internetseite der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellte Online-Formular übersandt. Am 30.09.2019 fand der erste Termin vor dem Oberlandesgericht Braunschweig in dem Verfahren 4 MK 1/18 statt. Mit Bescheid vom 12.12.2019 hat die Antragsgegnerin die Anmeldung mit der Begründung zurückgewiesen, sie sei im Hinblick auf § 608 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht fristgerecht bei ihr eingegangen, da nach dieser Vorschrift eine Anmeldung zur Eintragung in das Klageregister nur bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins möglich sei. Gegen die Zurückweisung seiner Anmeldung wendet sich der Antragsteller mit seinem am 13.01.2020 bei Gericht eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 08.01.2020.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den im Tenor näher bezeichneten Bescheid aufzuheben.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

II. Der gemäß §§ 23, 24 und 26 EGGVG zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat auch in der Sache Erfolg. Der Bescheid der Antragsgegnerin ist wegen eines Verstoßes gegen § 222 Abs. 2 ZPO rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten. Der Bescheid war daher nach § 28 Abs. 1 S. 1 EGGVG aufzuheben. Die Antragsgegnerin wird den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden haben.

Die Antragsgegnerin hätte die Anmeldung des Antragstellers nicht mit der Begründung zurückweisen dürfen, die Anmeldung am Montag, den 30.09.2019 sei im Hinblick auf § 608 Abs. 1 S. 1 ZPO verspätet. Nach § 222 Abs. 2 ZPO endet eine Frist, deren Ende auf einen Sonntag, Sonnabend oder allgemeinen Feiertag fällt, tatsächlich erst mit Ablauf des nächsten Werktags. Diese allgemeine Grundregel findet auch auf die Anmeldefrist nach § 608 Abs. 1 S. 1 ZPO Anwendung. Dies ergibt sich aus einer interessengerechten Auslegung des § 608 ZPO im Lichte seiner Entstehungsgeschichte und seiner systematischen Stellung im Gesetz.

§ 608 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO regeln die Anmeldung von Ansprüchen zur Eintragung ins Klageregister sowie ihre Rücknahme dergestalt, dass deren Wirksamkeit in zeitlicher Hinsicht an die Einhaltung bestimmter Stichtage gebunden ist. So heißt es in § 608 Abs. 1 ZPO, Verbraucher könnten "bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins" Ansprüche oder Rechtsverhältnisse zur Eintragung in das Klageregister anmelden. § 608 Abs. 3 ZPO bestimmt, dass die Anmeldung "bis zum Ablauf des Tages des Beginns der mündlichen Verhandlung in erster Instanz" wieder zurückgenommen werden kann. Die Regelung verfolgt das grundlegende gesetzgeberische Ziel, dem zur Entscheidung über die Musterfeststellungsklage berufenen Gericht ab einem bestimmten Zeitpunkt einen verlässlichen "Überblick über das fortbestehende Interesse der betroffenen angemeldeten Verbraucher" zu verschaffen - so die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 04.06.2018 (vgl. BT-Drs. 19/2439, Seite 23). Diese Überlegung steht im Zusammenhang damit, dass nach § 610 Abs. 3 ZPO ein "angemeldeter Verbraucher" während der Rechtshängigkeit der Musterfeststellungsklage gegen deren Beklagten keine (Individual-) Klage erheben kann; zudem bindet das rechtskräftige Musterfeststellungsurteil in einem anschließenden Prozess des "angemeldeten" Verbrauchers gegen den Beklagten das berufene Gericht, "soweit dessen Entscheidung die Feststellungsziele und den Lebenssachverhalt der Musterfeststellungsklage betrifft" (§ 613 Abs. 1 ZPO). Schließlich kann im Musterfeststellungsverfahren ein gerichtlicher Vergleich "auch für und gegen die angemeldeten Verbraucher" geschlossen werden (§ 611 Abs. 1 ZPO). Nicht zuletzt besitzen die Anmeldung und ihre Rücknahme wesentliche Bedeutung für den Eintritt der Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB und deren Ende (§ 204 Abs. 2 S. 2 BGB).

Die in § 608 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO Gesetz gewordene Regelung hat sich im Gesetzgebungsprozess erst zu einem relativ späten Zeitpunkt - nämlich im Rechtsausschuss - herausgebildet. So hatte der ursprüngliche Diskussionsentwurf (DisE) des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucher für die Anmeldung zum Klageregister und deren Rücknahme noch einen einheitlichen und sehr s...

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