Leitsatz (amtlich)
Auch wenn in Folge eines Fahrradunfalls sich an unterschiedlichen Körperregionen Frakturen zeigen, ist es zur Wahrung des fachärztlichen Standards ohne Vorliegen weiterer Anzeichen (hier zusätzlich auf eine Dens-Fraktur) nicht geboten, sicherheitshalber ein Ganzkörper-CT zu veranlassen. Dass das amerikanische ATLS-Protokoll, an dem sich die Diagnostik im Falle von Polytraumata auch in Deutschland Behandler häufig orientieren, möglicherweise nicht die Kriterien einer Leitlinie erfüllt, ändert nichts daran, dass sie den fachärztlichen Standard abbilden kann.
Normenkette
BGB §§ 280, 630a, 823
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 06.06.2017; Aktenzeichen 25 O 330/15) |
Tenor
Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 06.06.2017 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 330/15 - gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Hinweis innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses (§ 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO).
Gründe
I. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Urteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht noch nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1 ZPO). Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehen keine Ansprüche gegen die Beklagten aufgrund der streitgegenständlichen Behandlung im Hause der Beklagten zu 1) zu, denn sie hat Behandlungsfehler nicht bewiesen. Der Senat nimmt auf die überzeugenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug und macht sie sich zu Eigen. Die Berufungsangriffe geben lediglich Anlass zu folgenden ergänzenden Anmerkungen des Senats:
Gegen die einen Behandlungsfehler verneinenden Feststellungen des Landgerichts zur operativen Versorgung und Behandlung der Humerusmehrfragmentfraktur richtet sich die Berufung nicht. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein die Feststellung des Landgerichts zum Nichtvorliegen eines Behandlungsfehlers im Zusammenhang mit dem verspäteten Erkennen der Dens-Fraktur. Auch der Senat hält es jedoch nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme als nicht erwiesen, dass den im Hause der Beklagten zu 1) tätigen Behandlern Fehler unterlaufen sind. Insbesondere ist der Beweis eines Befunderhebungsfehlers nicht erbracht.
Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. G war es bei der Initialbehandlung am Unfalltag des 29.04.2014 geboten, die Unfallgeschichte aufzunehmen, die geklagten Beschwerden der Klägerin zu registrieren und eine körperliche Untersuchung durchzuführen, um die zu erwartenden Verletzungen einzuschätzen und daraus die Konsequenz für die notwendigen radiologischen Untersuchungsverfahren zu ziehen. Dies alles ist nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. G geschehen. Die Ausführungen von Dr. G überzeugen, denn sie stehen im Einklang mit dem Inhalt der Behandlungsdokumentation. Diese enthält Angaben zum Unfallgeschehen, zur Durchführung der klinischen Untersuchung sowie zu den geklagten Schmerzen im Bereich der rechten Leiste, Hüfte und des rechten Oberarms. Nicht geklagt hat die Klägerin - insoweit auch unstreitig - über Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule. Im Anschluss an die klinischen Untersuchungen wurden Röntgenuntersuchungen des Ellenbogens und des Oberarmes rechts sowie CT-Untersuchungen des Ellenbogengelenks und des Beckens durchgeführt. Unter Berücksichtigung der hierdurch gewonnenen Erkenntnisse war - bei maßgeblicher Betrachtung des Behandlungsgeschehens ex ante - eine radiologische Untersuchung der Halswirbelsäule, etwa im Wege einer CT-Untersuchung des Schädels, der die Halswirbelsäule mitabgebildet hätte, oder gar eines Ganzkörper-CTs - wie es die Klägerin nunmehr mit der Berufung fordert - nicht erforderlich. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass eine wichtige Grundlage zur Festlegung der notwendigen Diagnostik bei einem Schwerverletzten das Manual des "Advanced Trauma Life Support for Doctors" (ATLS) darstelle. Dieses beinhalte die wesentlichen Behandlungsprinzipien für die Kliniken in Deutschland, die in den Traumanetzwerken der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie organisiert seien. Laut ATLS-Protokoll werde eine CT-Untersuchung des Schädels nur dann gefordert, wenn bei dem Verletzten ein Bewusstseinsverlust, Gedächtnisverlust, Desorientiertheit, eine offene oder Impressionsschädelfraktur oder Hinweise auf eine Schädelbasisfraktur vorlägen. Auch die einschlägige S3-Leitlinie "Polytrauma" empfehle die Durchführung eines Schädel-CT nur bei Koma, Bewusstseinstrübung, Amnesie oder bei anderen neurologischen Störungen, bei Erbrechen [wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang zur Gewalteinwirkung bestehe], bei Vorliegen eines Krampfanfalls, bei klinischen Zeichen oder röntgenologischem Nachweis einer Schädelfraktur, bei Verdacht auf Impressionsfrak...