Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Anscheinsbeweis beim Auftreten eines Spritzenabszesses
Leitsatz (amtlich)
1. Das Auftreten eines Spritzenabszesses im zeitlichen Zusammenhang mit einer verabreichten Injektion begründet nicht den Beweis des ersten Anscheins, dass Hygienestandards nicht eingehalten wurden.
2. Kann aus medizinischer Sicht ein Schmerzmittel intramuskulär durch Injektion oder alternativ intravenös verabreicht werden, ist eine Aufklärung über beide Behandlungsalternativen jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn diese zu keinen wesentlich unterschiedlichen Belastungen des Patienten geführt oder keine wesentlich unterschiedliche Risiken oder Erfolgschancen geboten hätten.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1, § 831 Abs. 1, § 253 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 06.12.2012; Aktenzeichen 25 O 66/11) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 6.12.2012 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des LG Köln - 25 O 66/11 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Das angefochtene Urteil und dieser Beschluss sind vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen des Vorwurfes von Behandlungs- und Aufklärungsfehlern im Zusammenhang mit einer ärztlichen Versorgung in der Notfallambulanz Neurochirurgie des von der Beklagten betriebenen Krankenhauses N in Anspruch.
Die am 1.8.1958 geborene Klägerin suchte am 31.7.2010 wegen starker Rückenschmerzen die Notfallambulanz Neurochirurgie des Krankenhauses N auf. Zur Schmerzlinderung wurde der Klägerin eine Injektion verabreicht. Eine wegen anhaltender Schmerzen am 3.8.2010 durchgeführte Magnetresonanztomographie (MRT) des Beckens in der Gemeinschaftspraxis für Radiologie und Nuklearmedizin in L ergab den Verdacht eines Spritzenabzesses. Daraufhin begab sich die Klägerin am 4.8.2010 in die stationäre Behandlung des Evangelischen Krankenhauses C. Nach antibiotischer Behandlung konnte sie am 12.8.2010 in die ambulante Weiterbehandlung entlassen werden. Ein am 3.9.2010 zur Kontrolle durchgeführtes MRT zeigte eine Abszedierung im Musculus gluteus maximus links. Eine weitere Verlaufskontrolle am 27.10.2010 ergab bezüglich der Abszedierung eine deutliche Befundverbesserung.
Die Klägerin hat der Beklagten vorgeworfen, eine nicht indizierte Injektion durchgeführt zu haben. Zudem seien notwendige Hygienestandards nicht eingehalten worden. Die Nachbehandlung sei unzureichend gewesen, da man sie nach kürzester Zeit nach Hause entlassen habe. Sie sei über die Gefahr von Infektionen und Muskel- und Nervverletzungen als mögliche Risiken nicht aufgeklärt worden. Aufgrund der fehlerhaften Behandlung habe sie drei Monate unter stärksten Schmerzen gelitten, die in der Folgezeit langsam abklangen und bis heute in abgeschwächter Form anhielten, was ein Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 24.000 EUR rechtfertige. Zudem seien ihr materielle Schäden in Form von Verdienstausfallschaden, Haushaltsführungsschaden und weitere Unkosten entstanden und weitere Schäden auch für die Zukunft zu erwarten.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Festsetzung der Höhe nach in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit;
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche aus der fehlerhaften Behandlung resultierenden weiteren materiellen Schäden für die Vergangenheit und Zukunft sowie die nicht vorhersehbaren immateriellen Zukunftsschäden zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen;
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin die nach dem RVG nicht konsumierten außergerichtlichen Kosten der Klägerin bei den Prozessbevollmächtigen i.H.v. 3.063,06 EUR im Wege der Nebenforderung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat Behandlungsfehler in Abrede gestellt. Eine Pflicht zur Aufklärung hinsichtlich der Möglichkeit einer Infektion habe nicht bestanden. Der Zeuge G habe die Klägerin aber auch über Risiken und Nebenwirkungen der Injektionstherapie aufgeklärt. Vorsorglich hat sich die Beklagte auf den Einwand der hypothetischen Einwilligung berufen.
Das LG hat Beweis erhoben durch Vernehmung des behandelnden Arztes, Herrn G, und des Ehemannes der Klägerin, Herrn H, als Zeugen (Sitzungsprotokolle vom 18.11.2011, Bl. 84 f. d.A. und vom 26.10.2012, Bl. 170f d.A.) sowie durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. A vom 24.5.2012 (Bl. 118 ff. ff. d.A.) und mündliche Anhörung des Sachverständigen im Termin vom 28.11.2012 (Bl. 170 ff. d.A.). Nach Durchführung der Beweisaufnahme hat das LG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat...