Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit. Zwangsvollstreckung. Selbsttötungsgefahr. sittenwidrige Härte. Zwangsräumung
Leitsatz (amtlich)
1. Die materielle Rechtskraft eines ersten erfolglosen Vollstreckungsschutzverfahrens steht einem weiteren Vollstreckungsschutzverfahren nach § 765 a ZPO nicht entgegen, wenn es auf neue Tatsachen gestützt ist. Gleichgültig, ob diese schon früher geltend gemacht werden konnten. Dies ist aber bei der Abwägung der Gläubiger- und Schuldnerinteressen zu berücksichtigen.
2. Eine amtsärztlich bestätigte Selbsttötungsgefahr für den Fall der Zwangsräumung begründet nicht als solche eine sittenwidrige Härte, sondern dies ist nur ein gewichtiger Gesichtspunkt bei der Abwägung der Gläubiger- und Schuldnerinteressen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob der suizidgefährdete Schuldner den Versuch macht, durch laufende ärztliche Behandlung die extreme Reaktion auf die drohende Räumung zu überwinden. Weder das Fehlen der (späteren) Eintragung in das Grundbuch noch das Fehlen eines urkundlichen Beweises schließt die Existenz eines solchen Rechts aus.
Verfahrensgang
LG Köln (Beschluss vom 12.03.1993; Aktenzeichen 9 T 33/93) |
Tenor
Die sofortige weitere Beschwerde der Schuldner gegen den Beschluß der 9. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 12. März 1993 wird auf Kosten der Schuldner zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Durch Urteil des Amtsgerichts Wipperfürth vom 29.04.1992 sind die Schuldner zur Räumung verurteilt worden, und es ist ihnen eine Räumungsfrist bis zum 31.07.1992 eingeräumt worden. Die Berufung gegen diese Entscheidung haben die Schuldner zurückgenommen, nachdem die Gläubiger im Termin vom 12.08.1992 vor dem Landgericht erklärt haben, nicht vor dem 31.10.1992 zu vollstrecken.
Einen Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765 a ZPO, nachdem die Räumung zum 31.10.1992 nicht erfolgt war, hat das Landgericht durch Beschluß vom 29.01.1993 (9 T 17/93) zurückgewiesen.
Die Schuldner haben sodann am 31.01.1993 – Räumungstermin war auf den 01.02.1993 angesetzt – einen erneuten Antrag nach § 765 a ZPO gestellt und damit erstmals vorgetragen, daß der Ehemann mit dem Freitod für den Fall der Zwangsräumung gedroht habe. Sie haben weitere Einstellung der Zwangsvollstreckung bis zum 01.06.1993 beantragt.
Durch Beschluß vom 11.02.1993 hat das Amtsgericht nach Vorlage einer amtsärztlichen psychiatrischen gutachtlichen Stellungnahme des Arztes für Psychiatrie Dr. Sch. diesem Antrag entsprochen. Auf den Inhalt des amtsärztlichen Gutachtens wird Bezug genommen.
Auf die Beschwerde der Gläubiger hat das Landgericht unter Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts den Einstellungsantrag zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung in erster Linie damit begründet, daß die Ernsthaftigkeit der Selbsttötungsdrohung nicht glaubhaft gemacht sei, weil die Schuldner selbst diese Gefahr im durch Beschluß vom 29.01.1993 beendeten ersten Vollstreckungsschutzverfahren nicht geltend gemacht hätten, sondern nur mit Rücksicht auf die Dauer des beabsichtigten Umzugs in die Massagepraxis der Ehefrau Vollstreckungsschutz beantragt hätten.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Schuldner, auf deren Inhalt wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird.
Der Senat hat die Zwangsvollstreckung durch Beschluß vom 13.04.1993 bis zu dieser Entscheidung einstweilen eingestellt und den Schuldnern die psychiatrische gutachtliche Stellungnahme unter Fristsetzung bis zum 27.04.1993 zugeleitet, da deren Nichtkenntnis mit der weiteren Beschwerde gerügt worden war.
Entscheidungsgründe
II.
Die weitere Beschwerde ist zulässig. Gemäß §§ 576, 568 II, 793 ZPO ist die weitere Beschwerde im Zwangsvollstreckungsverfahren auch dann statthaft, wenn der Rechtsstreit in der Hauptsache nicht zum Oberlandesgericht gelangen kann. Wegen aller Einzelheiten der Begründung verweist der Senat auf die Senatsentscheidung vom 09.09.1991 (2 W 126/91), veröffentlicht in ZMR 1991, 436. Die weitere Beschwerde ist aber in der Sache nicht begründet. Die Schuldner haben erst im zweiten Vollstreckungsschutzverfahren nach § 765 a ZPO vorgetragen, die sittenwidrige Härte der Zwangsvollstreckung ergebe sich daraus, daß der Ehemann bei Durchführung der Räumung akut suizidgefährdet sei. Die Prüfung dieses Vortrags ist nicht durch die materielle Rechtskraft der vorangegangenen Entscheidung (vgl. Schuschke, Zwangsvollstreckung, Bd. I (1992), § 765 a, Rn. 19 m.w.N.) ausgeschlossen, denn neues Vorbringen kann auch dann Gegenstand eines weiteren Vollstreckungsschutzverfahrens sein, wenn es zwar hätte geltend gemacht werden können, aber nicht geltend gemacht worden ist, so daß eine gerichtliche Entscheidung über diesen Härtegrund gemäß § 765 a ZPO noch nicht ergangen ist. Ein vorsätzliches oder fahrlässiges Zurückhalten von Härtegründen im ersten Vollstreckungsschutzverfahren kann sich zwar auf das Ergebnis der Abwägung zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen auswirken, es schließt aber nicht die Sachprüfung der neu vorgebrachten Gründe aus. Bei der Prüfung, was als ein...