Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen des Haftungsprivilegs gem. §§ 104 ff. SGB VII gegenüber betriebsfremden Arbeitnehmern

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird ein betriebsfremder Kraftfahrer, der seinen Lkw zum Beladen aufplant, von einem rückwärtsfahrenden Gabelstapler, dessen Fahrer nicht mit dem Beladen des Lkw beschäftigt ist, verletzt, so ist die Haftung des Schädigers mangels Vorliegens einer „gemeinsamen Betriebsstätte” nicht nach §§ 104 ff. SGB VII ausgeschlossen. Zu den Sorgfaltspflichten eines rückwärtsfahrenden Gabelstaplerfahrers.

2. An den Entlastungsbeweis für einen angestellten Gabelstaplerfahrer sind strenge Anforderungen zu stellen; er setzt neben regelmäßigen Schulungen auch fortdauernde, planmäßige und unauffällige sowie unerwartete Kontrollen voraus.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 831; SGB VII § 104 ff.

 

Verfahrensgang

LG Köln (Aktenzeichen 16 O 17/00)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Köln vom 5.1.2001 – 16 O 17/00 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 9.633,85 DM nebst 4 % Zinsen ab dem 10.10.1999 zu zahlen. Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.

Wegen des weitergehenden Zinsanspruchs wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 14 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 86 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Die Klägerin, die ein Speditions- und Frachtunternehmen betreibt, verlangt von den Beklagten Schadensersatz, der ihr infolge der Lohnfortzahlung an ihren bei einem Unfall am 6.8.1999 verletzten Arbeitnehmer, den in erster Instanz vernommenen Zeugen W., in der Zeit seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit vom 6.8.1999 bis zum 26.9.1999 entstanden ist.

Am 6.8.1999 fuhr der Zeuge W. mit einem Lkw der Klägerin, die Subunternehmerin eines von der Beklagten zu 1) mit einem Warentransport nach Sch. beauftragten Drittunternehmens war, zu dem in einem Gewerbepark gelegenen Firmengelände der Beklagten zu 1), um dort die zu transportierenden Waren aufzuladen. Er stellte den Lkw vor der (ebenerdigen) Verladehalle ab und begann mit dem Aufplanen, um das Beladen des Lkw zu ermöglichen. Dabei wurde er von einem rückwärtsfahrenden Gabelstapler, der von dem Beklagten zu 2) gesteuert wurde, verletzt. Bei dem Beklagten zu 2) handelte es sich um einen Leiharbeitnehmer, der für die Beklagte zu 1) seit dem 16.12.1998 ununterbrochen tätig war. Er war nicht mit dem Beladen des Lkw der Klägerin beauftragt, sondern mit einer anderweitigen Tätigkeit beschäftigt. Der genaue Ablauf des Unfalls ist streitig. Die Parteien streiten vor allem um die Frage, ob sich die Beklagten auf die Haftungsfreistellung nach §§ 104 ff. SGB VII berufen können.

Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass zu Gunsten der Beklagten die Haftungsfreistellung nach §§ 104 ff. SGB VII eingreife. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren ursprünglich weitergehenden Zahlungsantrag i.H.v. 9.633,85 DM weiter. Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Zahlung von 9.633,85 DM aus §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1, 830 Abs. 1, 840 Abs. 1 BGB i.V.m. § 6 EFZG, da die Beklagten für den durch die Verletzung des Zeugen W. in der Zeit vom 6.8. bis 26.9.1999 entstandenen Lohnfortzahlungsschaden in voller Höhe einzustehen haben.

a) Die Beklagten haben der Klägerin den Lohnfortzahlungsschaden, der ihr durch den Unfall des Zeugen W. am 6.8.1999 entstanden ist, gemäß §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1, 830 Abs. 1 BGB i.V.m. § 6 EFZG zu ersetzen. Der Zeuge W. ist durch den Beklagten zu 2) widerrechtlich verletzt worden, als dieser mit seinem Gabelstapler im Bereich der Verladehalle der Beklagten zu 1) unaufmerksam rückwärts gefahren ist und dabei den Zeugen W. erfasst hat.

aa) Der Beklagte zu 2) hat – was für seine eigene Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB Voraussetzung ist – auch schuldhaft gehandelt. Hierfür spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins (vgl. OLG Düsseldorf VRS 55, 412). Wer mit einem (motorbetriebenen) Fahrzeug rückwärts fährt, muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer ausgeschlossen ist (für den Straßenverkehr vgl. § 9 Abs. 5 StVO); insbesondere muss er, sei es durch Blick in den Rückspiegel (sofern bei einem Gabelstapler vorhanden), sei es durch Umblicken über die Schulter, den rückwärtigen Verkehrsraum ständig äußerst sorgfältig beobachten und sofort anhalten können, falls ein Hindernis auftaucht. Das Unfallereignis lässt nach dem ersten Anschein nur darauf schließen, dass der Beklagte zu 2) diese Sorgfaltsanforderungen schuldhaft verletzt hat. Er hat keine Tatsachen vorgetragen, die diesen A...

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