Entscheidungsstichwort (Thema)

Zerstörung einer Nervenleitbahn im Herzen; Aufklärung; Schaden

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Aufklärung der Eltern eines 4-jährigen Kindes, das wegen einer störenden Leitungsbahn am Herzen operiert werden soll, umfasst nicht nur den Hinweis auf das Risiko eines AV-Blocks, sondern die eingehende Erörterung, was dies für das Leben bedeutet (insbesondere die lebenslängliche Herzschrittmacher-Pflichtigkeit). Sie umfasst ferner das Erörtern des für das Kind günstigsten Zeitpunktes für eine solche Operation.

2. Wird durch eine Herz-Operation die für den Herzschlag notwendige Nervenverbindung zwischen Vor- und Hauptkammer zerstört und der Patient dadurch lebenslang herzschrittmacherpflichtig, liegt ein Gesundheitsschaden auch dann vor, wenn der Patient auch schon vor der Operation auf einen Herzschrittmacher angewiesen war, jedoch (durch eine spätere oder andere Operation) eine realistische Chance auf ein Leben ohne Herzschrittmacher bestanden hätte, die nun verloren ist.

3. Für die endgültige Zerstörung einer lebensnotwendigen Leitungsbahn des Herzens sind ein Schmerzensgeld von 15.000 EUR und ein immaterieller Vorbehalt auch dann gerechtfertigt, wenn der Patient auch zuvor auf einen Herzschrittmacher und auf starke Medikamente angewiesen war, und sich das Ausmaß seiner konkreten Beeinträchtigungen nicht weiter verschlechtert hat.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 253, 280, 611, 823

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 26.11.2013; Aktenzeichen 3 O 438/09)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 26.11.2013 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Köln - 3 O 438/09 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 15.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 1.8.2005 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner dem Kläger die derzeit nicht konkret absehbaren zukünftigen immateriellen und alle weiteren vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihm infolge der Behandlung vom 20.2.2003 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1623,64 EUR zu zahlen.

Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.

Die weiter gehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden zu 58 % dem Kläger, zu 42 % den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger kam am 20. xx. 1998 als Frühgeborener (34. Woche) mit einem Herzfehler zur Welt. Er litt unter einer paroxysmalen supraventrikulären Tachykardie mit Re-Entry-Mechanismus, was bedeutet, dass sich zwischen Vor- und Hauptkammer neben der Verbindung zwischen AV-Knoten und HIS-Bündel eine zusätzliche störende Nervenbahn befindet, die unkontrolliert Impulse sendet und so zu einer Tachykardie mit unter Umständen lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen führt. Er wurde permanent durch die Ärzte des Universitätsklinikums der Beklagten zu 1 betreut. Diese versuchten zunächst eine rein medikamentöse Einstellung, die allerdings dazu führte, dass das Herz nunmehr gelegentlich über längere Zeiträume aussetzte, weshalb dem Kläger im Alter von acht Monaten ein Herzschrittmacher eingesetzt wurde. Daneben musste der Kläger mit nebenwirkungsreichen Medikamenten behandelt werden. Nachdem im vierten Lebensjahr Befindlichkeitsstörungen, Halsschmerzen und Tachykardien auftraten, musste die Dosis der verabreichten Medikamente erhöht werden.

Am 20.2.2003 operierte der Beklagte zu 3 den Kläger mit dem Ziel, eine dauerhafte Lösung zu finden. Dieser Operation gingen mehrere Gespräche der Eltern des Klägers mit den Beklagten zu 2 bis 5 voraus. Im Rahmen einer kathetergestützten Operation wurde durch Applikation von hochfrequentem Strom die störende Leitungsbahn verödet. Dabei wurde allerdings auch die gesunde Nervenverbindung zwischen AV-Block in der rechten Vorkammer und dem HIS-(Nerven-)Bündel in den Hauptkammern unterbrochen, was zur Folge hat, dass der Kläger zu einem natürlichen Herzschlag nicht mehr in der Lage und zeitlebens auf einen Herzschrittmacher angewiesen ist. Ein solcher Herzschrittmacher wurde dem Kläger noch in der Operation vom 20.2.2003 eingesetzt. Medikamente muss er seitdem nicht mehr nehmen. Das Herz funktioniert mit Hilfe des Herzschrittmachers bis heute störungsfrei.

Mit der Behauptung, ohne ausreichende ...

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