Entscheidungsstichwort (Thema)

Kanzleiabwickler; Insolvenzverwalter; Vergütungs- und Aufwendungsansprüche des Abwicklers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist für einen insolventen ehemaligen Rechtsanwalt (Schuldner) sowohl ein Abwickler als auch ein Insolvenzverwalter bestellt, so stehen die auf dem Geschäftskonto des Schuldners eingehenden oder vom Abwickler eingezogenen Gebühren in der Zeit bis zum Ende der Abwicklung grundsätzlich dem Abwickler zu.

2. Lässt der Insolvenzverwalter während der laufenden Abwicklung ohne Einverständnis des Abwicklers solche Gebühren auf sein Anderkonto transferieren, so steht dem Abwickler gegen den Insolvenzverwalter ein Herausgabeanspruch nach § 55 Abs. 3, § 53 Abs. 10 Satz 1 BRAO zu.

3. Vergütungs- und Auslagenansprüche des Abwicklers gehen analog § 324 Abs. 1 Nr. 6 InsO denjenigen des Insolvenzverwalters vor.

4. Die Beweislast dafür, dass Überschüsse vorhanden sind, die der Abwickler zur Fortführung der Abwicklung nicht benötigt, trifft den Insolvenzverwalter.

5. Der Abwickler hat hingegen keinen Anspruch gegen den Insolvenzverwalter auf Herausgabe auf dem Insolvenzanderkonto eingegangener Honorare und Fremdgelder.

 

Normenkette

BRAO § 55 Abs. 3, § 53 Abs. 10 S. 1; InsO § 324 Abs. 1 Nr. 6; BGB § 667

 

Verfahrensgang

LG Aachen (Urteil vom 02.07.2009; Aktenzeichen 8 O 480/08)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 2.7.2009 verkündete Urteil des LG Aachen - 8 O 480/08 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag von 4.852,01 EUR abzgl. eines am 20.5.2008 gezahlten Betrages von 444,93 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7.3.2008 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 36 % und die Beklagte 64 %. Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz haben der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien dürfen die Vollstreckung seitens der Gegenseite durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger, der durch Verfügung der Rechtsanwaltskammer L. vom 24.7.2007 zum Abwickler der Kanzlei des ehemaligen Rechtsanwalts H. I. bestellt und dessen Bestellung zuletzt bis zum 31.12.2009 verlängert worden ist, nimmt die Beklagte auf Rückgewähr eines Betrages von - zuletzt - 4.407,08 EUR in Anspruch. Ferner begehrt er die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei ihr eingehendes Fremdgeld sowie eingehende Honorare, die aus einem Mandatsverhältnis mit dem früheren Rechtsanwalt H. I. resultieren, an ihn auszuzahlen.

Wegen des Sachverhalts wird gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das LG hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger stehe als Kanzleiabwickler gegen die Beklagte ein Anspruch auf Auszahlung der von dieser vereinnahmten Anwaltshonorare aus §§ 55 Abs. 3, 53 Abs. 10 S. 1 BRAO zu. Zu den Gegenständen, auf die sich gem. § 53 Abs. 10 S. 1 BRAO der Herausgabeanspruch des Abwicklers beziehe, gehörten auch Forderungen. Zwar fielen Honorarforderungen von Rechtsanwälten prinzipiell auch in die Insolvenzmasse, so dass ein Konkurrenzverhältnis zwischen insolvenzrechtlichen und berufsrechtlichen Regelungen bestehe, das vorliegend zugunsten des Abwicklers aufzulösen sei. Denn dieser müsse in die Lage versetzt werden, die laufenden Mandate ordnungsgemäß abzuwickeln. Dies ergebe sich aus dem Schutzzweck der Abwicklungsvorschriften, welche u.a. der Sicherheit des Rechtsverkehrs dienten. Da der Abwickler berechtigt sei, eingehende Honorare zur Finanzierung des laufenden Kanzleibetriebs zu verwenden und ihm darüber hinaus Vorschüsse auf sein eigenes Honorar zustünden, werde der Herausgabeanspruch des Insolvenzverwalters in der Regel erst nach dem Ende der Abwicklung fällig. Eine Abgrenzung zwischen laufenden und beendeten Mandaten sei sachfremd und führe dazu, dass der Abwickler verpflichtet wäre, nach Beendigung jedes einzelnen Mandats die erzielten Honorare an den Insolvenzverwalter herauszugeben. Dies widerspreche dem Ablauf des Abwicklungsverfahrens, da der Auftrag des Abwicklers nicht lediglich einzelne Mandate, sondern die Kanzlei im Ganzen umfasse. Auch der BGH sei in der in JR 2007, 109, 110 veröffentlichten Entscheidung v. 23.6.2005 - IX ZR 139/04 - davon ausgegangen, dass der Abwickler während des bestehenden Abwicklungsverhältnisses allenfalls nach § 271 Abs. 1 Fall 2 BGB verpflichtet sein könne, die Überschüsse herauszugeben, die offensichtlich nicht mehr für die weitere Abwicklung benötigt würden. Hierzu sei vorliegend aber nichts vorgetragen. Da die Beklagte danach derzeit nicht Herausgabe des aus der Abwicklung der Kanzlei ...

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