Leitsatz (amtlich)
1. Ein Arzt, der auf Hinweise der Krankenschwester, die auf einen beginnenden septischen Schock des Patienten hindeuten, nicht zumindest Anordnungen zu engmaschiger und intensiver Überwachung trifft, handelt grob fehlerhaft.
2. Verstirbt ein Patient infolge eines grob fehlerhaft nicht behandelten septischen Schocks binnen weniger Stunden, ist ein höheres Schmerzensgeld als 2000.- EUR nicht gerechtfertigt.
3. Liegt dem Erben seit fünf Jahren ein von ihm eingeholtes Privatgutachten vor, aus dem sich die Umstände ergeben, die einen groben Fehler des Arztes begründen, beschränkt er sich zunächst auf die Geltendmachung von ererbten Ansprüchen des Erblassers und erweitert er dann die Klage um eigene Ansprüche aus behaupteter eigener psychischer Schädigung (hier insbesondere darauf gestützter Verdienstausfall), so handelt es sich insoweit um einen eigenen Streitgegenstand, hinsichtlich dessen die (hier bejahte) Verjährung durch die erhobene Klage nicht gehemmt wird.
Normenkette
BGB §§ 253, 280, 611, 823, 831, 844
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 06.07.2016; Aktenzeichen 25 O 302/13) |
Tenor
Auf die Berufungen der Beklagten zu 1), des Beklagten zu 2) und der Klägerin wird das am 6.7.2016 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 302/13 - unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein ererbtes Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.4.2009 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche vergangenen materiellen Schäden, die ihr als Dritter (§ 844 BGB) infolge der fehlerhaften Behandlung und des Todes ihres Vaters Mohsen F, geboren 4.5.1946, gestorben 13.8.2008, entstanden sind, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 80% und die Beklagten zu 20 %.
Das vorliegende Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die jeweils andere Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Der am 4.5.1946 geborene Vater der Klägerin (im Folgenden auch: Patient) suchte am 28.7.2008 mit Bauchschmerzen den niedergelassenen Arzt Dr. P auf, der nach einer Darmspiegelung die Verdachtsdiagnose eines Coecum-Karzinoms stellte. Die am 13.11.1980 geborene Klägerin studierte zu diesem Zeitpunkt Architektur an der Fachhochschule L. Ihr Bruder war nach der vorgelegten Sterbeurkunde im Jahr 1997 in den USA gewaltsam zu Tode gekommen.
Am 29.7.2008 stellte sich der Patient ambulant bei dem Beklagten zu 2) vor, der Chefarzt der Chirurgischen Klinik des Krankenhauses I war. Die Beklagte zu 1) ist dessen Trägerin. Am 4.8.2008 wurde der Patient stationär aufgenommen. Am 7.8.2008 nahm der Beklagte zu 2) eine Hemikolektomie und eine Seit-zu-Seit-Anastomose vor. Die histologische Untersuchung ergab ein tubuläres Adenom mit intraepithelialer Neoplasie. Am 9.8.2008 wurde der Patient von der Intensivstation auf die chirurgische Normalstation zurückverlegt.
Ab dem 10.8.2008 kam es zu einer Verschlechterung mit Blähungen, reduziertem Allgemeinzustand, Übelkeit und Erbrechen. Die Beklagten bestimmten die Laborwerte mindestens einmal täglich. Der CRP-Wert stieg von 158 mg/l am 9.8.2008 auf 443 mg/l am 12.8.2008. Der Beklagte zu 2) oder der diensthabende Arzt führten am 11.8.2008 um 07.55 Uhr, 14.25 Uhr und 22.15 Uhr und am 12.8.2008 um 01.00 Uhr, 07.45 Uhr, 10.30 Uhr, 13.10 Uhr, 15.30 Uhr, 18.30 Uhr und 21.00 Uhr eine Visite und klinische Untersuchungen durch. Eine Leseabschrift der dabei dokumentierten Befunde und der Pflegedokumentation für den entsprechenden Zeitraum befindet sich auf S. 7 des Schriftsatzes des Beklagten zu 2) vom 11.11.2014 (Bl. 207 ff. d.A.). Am 12.8.2008 erfolgten ferner eine Computertomografie des Thorax und des Abdomen sowie ein internistisches und ein urologisches Konsil. Die Computertomografie zeigte nach dem schriftlichen radiologischen Befund einen Kontrastmittelübertritt in das Colon descendens, keinen Hinweis auf eine Anastomoseinsuffizienz und eine deutliche postoperative Dünndarmatonie. Am 13.8.2008 vermerkte die Nachtschwester "Dr. H. Info. Patient baut ab, er scheidet nicht aus (Urin), Puls 120, Blutdruck 90/60, kaltschweißig, Temperatur 37,5°, Blutzucker 108" in den Behandlungsunterlagen. Der Arzt Dr. I2 suchte den Patienten wenige Minuten später auf und vermerkte "Abdomen weich, führt ab." Nachträglich fertigte er ein Aktennotiz, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 225 d.A). Um 07.15 Uhr fa...