Leitsatz (amtlich)

Übersieht der Orthopäde bei der Auswertung des Röntgenbildes eine Fersenbeinfraktur, die bei sorgfältiger Betrachtung erkennbar ist, so trifft ihn der Vorwurf eines haftungsbegründenen Diagnosefehlers auch dann, wenn es sich nicht um einen fundamentalen Irrtum handelt.

 

Normenkette

BGB § 823

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 26.9.2001 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG A. – 11 O 112/00 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 15.000 Euro nebst 4 % seit dem 29.4.2000 zu zahlen. Der Beklagte zu 1) wird darüber hinaus verurteilt, an die Klägerin 4 % Zinsen aus 15.000 Euro für die Zeit vom 26. bis 28.4.2000 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen zukünftigen materiellen sowie sämtlichen zukünftigen und zur Zeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden aufgrund der fehlerhaften Behandlung durch die Beklagten in der Zeit vom 16.6.1998 bis zum 9.9.1998 zu ersetzen, soweit die betreffenden Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz als Gesamtschuldner zu tragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin zu 22 % und den Beklagten als Gesamtschuldnern zu 78 % auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Die Klägerin verletzte sich am 14.6.1998 bei einem Treppensturz am rechten Fußgelenk. Der Beklagte zu 1) diagnostizierte nach Fertigung von Röntgenaufnahmen eine Sprunggelenksdistorsion, verordnete Antiphlogistika sowie Kälteanwendung und ließ eine Schiene anlegen. Während des Urlaubs des Beklagten zu 1) begab sich die Klägerin am 25.6.1998 in die Behandlung des Beklagten zu 2), der aufgrund einer am 30.6.1998 durchgeführten Röntgenuntersuchung die Diagnose Sprunggelenksdistorsion bestätigte und ebenfalls eine Ruhigstellung des Fußes anordnete. Bei einer radiologischen Untersuchung am 8.9.1998 durch Dr. F. in E. wurde schließlich eine – zu diesem Zeitpunkt inoperable – Fraktur des unteren Sprunggelenks festgestellt. Dieser Befund wurde bei einer weiteren Untersuchung durch Dr. K. in A. bestätigt; außerdem wurde ein Befund erhoben, der mit einem Morbus Sudeck vereinbar bzw. für einen solchen typisch ist.

Die Klägerin hat behauptet, die Fraktur des Sprunggelenks sei auf den von den Beklagten jeweils gefertigten Röntgenaufnahmen zu sehen gewesen. Sie hätten demgemäss eine falsche Diagnose gestellt. Als Folge der wegen der Fehldiagnose angeordneten, tatsächlich nicht angezeigten konservativen Therapie könne sie ihr rechtes Bein jetzt kaum mehr gebrauchen und habe zudem einen Morbus Sudeck erlitten, der bei rechtzeitiger operativer Behandlung der Fraktur vermeidbar gewesen wäre. Weder könne sie die im Haushalt anfallenden Arbeiten im vollem Umfang erledigen noch könne sie in dem landwirtschaftlichen Betrieb ihres Ehemannes weiter mitarbeiten. Die Klägerin hat ein Schmerzensgeld von 25.000 DM als angemessen angesehen.

Sie hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld wegen der Behandlungsfehler im Zeitraum 16.6.1998 bis einschließlich 30.10.1998 nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 1.7.1999 zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr künftig alle materiellen und immateriellen Folgen aus diesen Behandlungsfehlern zu ersetzen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet, auf den von ihnen gefertigten Röntgenaufnahmen sei eine Sprunggelenksfraktur nicht zu sehen gewesen. Selbst wenn die Fraktur erkannt worden wäre, wäre die Therapie nicht anders verlaufen. Ein Morbus Sudeck liege bei der Klägerin nicht vor.

Das LG hat der Klägerin nach Einholung eines Sachverständigengutachtens mit Urt. v. 26.9.1999 ein Schmerzensgeld i.H.v. 20.000 DM zuerkannt und die begehrte Feststellung ausgesprochen. Dagegen richten sich die form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufungen der Klägerin und der Beklagten.

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung die Verurteilung zur Zahlung eines höheren Schmerzensgeldes, dessen Mindestbetrag sie nunmehr mit insgesamt 20.000 Euro angibt. Sie trägt vor: Das LG habe zutreffend bei beiden Beklagten einen Behandlungsfehler angenommen. Der Fersenbeinbruch sei auf den von den Beklagten gefertigten Röntgenaufnahmen deutlich erkennbar gewesen. Beiden Beklagten wirft die Klägerin zudem eine unzureichende Diagnostik vor. Das klinische Beschwerdebild haben zwingend auf das Vorliegen einer Kalkanaeus-Fraktur hingedeutet. Zumindest seien weitere Untersuchungsmaßnahmen – vor allem ein CT – angezeigt gewesen. Dann wäre die Fraktur mit Sicherheit erkannt worden. Beim Erkennen einer Fraktur sei eine operative Therapie zwingend indiziert gewesen. Bei adäquater Behandlung wäre der Bruch völlig ausgeheilt und ihr wäre der Morbus S...

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