Entscheidungsstichwort (Thema)
Rekurrensparese nach Halswirbelsäulenoperation: Lagerung, Schraubenfehllage, Dokumentation, Aufklärung
Leitsatz (amtlich)
1. Kann nicht geklärt werden, ob eine Rekurrensparese nach einer Halswirbelsäulenoperation Folge einer falschen Lagerung des Patienten ist oder einer mit der Wahl des Zugangs typische Komplikation, kommt die Anwendung der Grundsätze über den voll beherrschbaren Risikobereich von vornherein nicht in Betracht.
2. Die Fehllage von Schrauben im Zwischenwirbelraum lässt auch bei durchgeführter Bildwandlerkontrolle nicht auf einen Behandlungsfehler schließen.
3. Die Einzelheiten der Lagerung eines Patienten (hier: Herabziehen der Schultern mit Pflasterzügeln oder Handgelenkbandagen, um eine ungestörte Bildwandlerkontrolle zu ermöglichen) sind als Routinemaßnahmen im Rahmen eines Operationsberichtes nicht dokumentationspflichtig.
4. Bei der Frage, ob im Rahmen einer Wirbelsäulenoperation ein Cage oder ein Knochenzementdübel einzubringen ist, handelt es sich nicht um eine echte Behandlungsalternative, über die der Patient aufzuklären ist.
Normenkette
BGB §§ 249, 253, 280, 611, 823
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 10.12.2014; Aktenzeichen 25 O 261/12) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 10.12.2014 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des LG Köln - 25 O 261/12 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Bei der am 2.8.1955 geborenen Klägerin verschlimmerten sich im Jahr 2008 schon länger bestehende Nacken-Armschmerzen. Eine am 25.8.2008 gefertigte Magnetresonanztomografie ergab einen breitbasigen Bandscheibenvorfall im Segment HW 6/7. Am 7.9.2008 stellte sich die Klägerin in der Notfallambulanz des Klinikums der Beklagten zu 1) vor. Sie gab an, dass es seit etwa acht Wochen zu einer akuten Symptomatik mit stärksten Nackenschmerzen und einer Ausstrahlung in den linken Arm gekommen sei, die auf konservative Therapie kaum anspreche. Die Schmerzen seien von einem ausgeprägten Taubheitsgefühl, Kribbelparästhesien und dem Eindruck begleitet, im gesamten Arm keine Kraft zu haben. Nach stationärer Aufnahme in der Klinik für Neurochirurgie führte die Klägerin am 8.9.2008 ein Aufklärungsgespräch mit dem Beklagten zu 5) und unterzeichnete einen perimed-Aufklärungsbogen. Am 10.9.2008 nahm der Beklagte zu 2), assistiert durch den Beklagten zu 3), eine Diskektomie im Segment HW 6/7 und eine ventrale Spondylodese mit Knochenzement vor. Am 17.9.2008 wurde die Klägerin entlassen.
Vom 18.9.2008 bis 8.10.2008 führte sie eine Rehabilitationsmaßnahme in der Rehaklinik T durch. Am 29.10.2008 stellte sie sich ambulant bei der Beklagten zu 1) vor und gab an, dass während der Rehabilitationsmaßnahme zunehmende Atembeschwerden aufgetreten seien. In den mitgebrachten Röntgenaufnahmen zeigte sich eine Dislokation des Knochenzementinterponats in Höhe HW 6/7 nach ventral. Am 30.10.2008 wurde die Klägerin wieder stationär aufgenommen. Eine konsiliarische hals-nasen-ohren-ärztliche Untersuchung ergab einen Stimmbandlippenstillstand rechts. Am 31.10.2008 führte die Klägerin ein Aufklärungsgespräch mit dem Beklagten zu 4). Am 3.11.2008 entfernte der Beklagte zu 4) den dislozierten Knochenzementdübel und nahm eine ventrale Spondylodese HW 6/7 mittels eines Beckenkammspans und einer Verplattung vor. Die am 4.11.2008 durchgeführte Computertomografie zeigte eine Fehllage der kaudalen Schrauben im Zwischenwirbelraum HW 7/BW 1. Die Klägerin erhielt eine Philadelphia-Halsorthese. Am 10.11.2008 wurde sie entlassen. Am 8.12.2008 und 9.1.2009 stellte sie sich zu postoperativen Kontrollen bei der Beklagten zu 1) vor. Ausweislich des Berichts vom 9.1.2009 gab sie an, dass die Zervikobrachialgien linksseitig und die die sensomotorischen Ausfälle im linken Arm vollständig gebesserten seien. Die Atembeschwerden aufgrund der Recurrensparese bestanden fort.
Am 19.10.2009 suchte die Klägerin das Krankenhaus L auf und gab an, dass seit Juli 2009 erneut Zervikalgien links mit Ausstrahlung in die linke Schulter und mit Krämpfen in den Fingern IV und V aufgetreten seien. Während des stationären Aufenthalts im Krankenhaus L vom 25.11.2009 bis 5.12.2009 erfolgte am 1.12.2009 eine Nukleotomie in den Segmenten HW 4/5, HW 5/6, HW 7/BW 1 und eine Spondylodese vom 4. Halswirbelknochen bis zum 1. Brustwirbelknochen. Dabei setzte der Operateur Cages in die Zwischenwirbelräume ein und nahm eine ventrale Verplattung vor.
Gestützt auf ein Gutachten und zwei Ergänzungsgutachten von Prof. Dr. C (im Anlagenheft unter 1, 4 und 5) hat die Klägerin den Beklagten vorgeworfen, dass die Operation vom 10.9.2008 nicht ...