Entscheidungsstichwort (Thema)
Überdosierte Kortisoninjektion in Schulter und Beurteilung eines MRT-Papierausdrucks als grobe Behandlungsfehler
Leitsatz (amtlich)
1. Empfiehlt der Hersteller eines Kortisonpräparates eine bestimmte Höchstdosis sowie die Wiederholung der Behandlung nach frühestens drei bis vier Wochen, so stellt sich die Gabe von vier Injektionen innerhalb von 11 Tagen unter erheblicher Überschreitung der Höchstdosis auch bei starken Schulterbeschwerden als grober Behandlungsfehler dar.
2. Die Fehlbeurteilung eines MRT-Befundes durch einen um eine Zweitmeinung gebetenen Radiologen, die lediglich auf einem qualitativ minderwertigen Papierausdruck der MRT-Bilder beruht, stellt sich als grob fehlerhaft dar.
3. Die Weigerung des Patienten, sich anstelle einer Kortisonbehandlung an der Schulter operieren zu lassen, ist regelmäßig nicht als Mitverschulden zu werten.
4. Ein Schmerzensgeld von 70.000.- EUR ist gerechtfertigt, wenn infolge einer fehlerhaften Kortisonbehandlung und eines sich daraufhin entwickelnden schweren Infektes das Schultergelenk einer 45-jährigen Frau derart geschädigt wird, dass der Einsatz einer Oberarm-Kopfprothese erforderlich wird mit mehreren operativen Eingriffen, verbleibenden Bewegungseinschränkungen, verbleibender eingeschränkter Kraftentfaltung und verbleibenden wiederkehrenden Schmerzzuständen.
Normenkette
BGB §§ 280, 611, 823
Verfahrensgang
LG Köln (Aktenzeichen 25 O 305/13) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten zu 1) und die Berufung der Beklagten zu 2) bis 4) gegen das am 11.5.2016 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 305/13 - werden mit der Maßgabe und Klarstellung zurückgewiesen, dass die Ersatzpflicht des Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) bis 4), soweit es um künftige immaterielle Schäden geht, nur hinsichtlich nicht vorhersehbarer künftiger immaterieller Schäden festgestellt ist.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden wie folgt verteilt: Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Beklagten zu 15 % als Gesamtschuldner und der Beklagte zu 1) zu weiteren 85 % allein. Der Beklagte zu 1), die Beklagten zu 2) bis 4) und die Streithelfer der Beklagten zu 2) bis 4) tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Bei der am 13.5.1965 geborenen Klägerin traten am 16.4.2010 nach einem Fitnesstraining Beschwerden in der linken Schulter auf, wegen der sie sich am folgenden Tag in der Ambulanz des Krankenhauses L vorstellte. Am 20.4.2010 suchte sie die Praxis des Beklagten zu 1), der als niedergelassener Orthopäde tätig ist, auf. Trotz der Einnahme von Schmerzmitteln konnte sie den linken Arm fast nicht bewegen. Nach der Anfertigung einer Magnetresonanztomografie diagnostizierte der Beklagte zu 1) eine Bursitis subakromialis und eine Arthritis des Akromioclavikulargelenks und nahm eine intraartikuläre Injektion subakromial mit einer Ampulle Supertendin und 2 ml Meaverin 2 % vor. Am 23.4.2010, 27.4.2010 und 30.4.2010 injizierte der Beklagte zu 1) jeweils eine viertel Ampulle Supertendin und 5 ml Meavirin 2 % subakromial. Die am 27.4.2010 entnommene Blutprobe ergab einen CRP-Wert von 1,3 mg/dl. Am 3.5.2010 schilderte die Klägerin eine geringe Besserung ihrer Beschwerden. Am 10.5.2010, als keine weitere Besserung eingetreten war, empfahl der Beklagte zu 1) eine Arthroskopie der linken Schulter und übermittelte der Klägerin einen Kostenvoranschlag.
Am 27.5.2010 suchte die Klägerin den Beklagten zu 2) auf, der gemeinsam mit der Beklagten zu 3) Gesellschafter der Beklagten zu 4), einer orthopädischen Gemeinschaftspraxis, ist. Die Bewegungseinschränkungen und Schmerzen der linken Schulter bestanden fort. Der Beklagte zu 2) diagnostizierte eine akute Schultersteife und ein lokales chronisches Schmerzsyndrom und empfahl die Fortsetzung der konservativen Therapie mit Krankengymnastik und Akupunktur, die der Hausarzt der Klägerin Dr. M vornahm.
Am 10.8.2010 stellte sich die Klägerin bei dem Orthopäden Dr. H vor, der sie zur Anfertigung einer Magnetresonanztomografie an die Radiologin Dr. B überwies. Diese nahm die Untersuchung am 16.8.2010 vor und beschrieb eine ausgedehnte Arthritis des Schultergelenks mit Beteiligung der ossären Strukturen des Humeruskopfes, der angrenzenden Bursa und auch der Muskulatur sowie Anzeichen einer Ruptur der langen Bizepssehne. Sie veranlasste eine Vorstellung der Klägerin in der orthopädischen Praxis Dr. T am gleichen Tag, wo der CRP-Wert mit 2,7 mg/dl bestimmt wurde. Am 23.8.2010 war die Beweglichkeit der linken Schulter massiv eingeschränkt und bei der Untersuchung nicht testbar. Dr. T riet der Klägerin zu einer Art...