Entscheidungsstichwort (Thema)
Befunderhebungsfehler bei Knie-Operation
Leitsatz (amtlich)
1. Es stellt einen Befunderhebungsfehler dar, wenn ein Orthopäde vor der Durchführung knorpelchirurgischer Maßnahmen im Knie eine Ganzbein-Röntgenaufnahme zur sicheren Abklärung einer etwaigen Achsfehlstellung unterlässt.
2. Ein Befunderhebungsmangel ist noch nicht als grober Fehler einzustufen, wenn eine eigentlich zweifelsfrei gebotene Maßnahme (hier: Ganzbein-Röntgenaufnahme) im klinischen Alltag häufig deshalb unterbleibt, weil die dafür benötigten Geräte nicht verfügbar sind, und wenn andere Untersuchungsmaßnahmen eine weitgehend verlässliche Beurteilung gestatten.
3. Zur Frage der medizinischen Indikation von implantierten Karbonstiften bei Knorpelschäden im Knie.
Normenkette
BGB §§ 249, 280, 611, 631h, 823
Verfahrensgang
LG Bonn (Urteil vom 26.11.2012; Aktenzeichen 9 O 277/10) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Bonn vom 26.11.2012 - 9 O 277/10 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die am 3.10.1964 geborene Klägerin begab sich im Juli 2002 wegen Schmerzen im rechten Knie in die Behandlung des als niedergelassener Orthopäde tätigen Beklagten zu 1). Am 6.9.2002 erfolgte in der Praxis des Beklagten zu 1) eine Arthroskopie des rechten Kniegelenkes. Der intraoperative Befund ergab eine Innenmeniskusdegeneration und eine Knorpelschädigung auf der inneren Seite des Kniegelenks. Der Innenmeniskus wurde reseziert und eine Knorpelglättung durchgeführt. Aufgrund fortbestehender Beschwerden führte der Beklagten zu 1) am 10.1.2003 eine erneute Arthroskopie durch. Die Knorpelschäden zeigten intraoperativ eine erhebliche Verschlimmerung im Vergleich zum Vorbefund. Es waren nunmehr aufgeworfene Knorpelfragmente erkennbar, die reseziert wurden. Histologisch zeigte sich eine schwergradige degenerative Meniskopathie. Nach wenigen Wochen erfolgte wegen anhaltender Beschwerden eine dritte arthroskopische Behandlung, bei der Karbonstifte implantiert wurden. Auch nach dieser Operation klagte die Klägerin weiter über Schmerzen im rechten Knie. Ein am 6.5.2003 durchgeführtes MRT des rechten Knies ergab ausgeprägte Knorpelschäden am medialen Femurcondylus. Zudem litt die Klägerin unter den Auswirkungen einer schnappenden Hüfte, die zu einer ambulanten Operation in der Praxis des Beklagten zu 1) am 30.5.2003 führte.
Im September 2003 stellte sich die Klägerin wegen anhaltender Beschwerden an der Innenseite des rechten Kniegelenks in dem durch die Beklagte zu 2) betriebenen St. K Krankenhaus vor. Am 10.10.2003 erfolgte eine Arthroskopie des rechten Kniegelenks, bei der nekrotisches Knorpelgewebe beseitigt, Karbonstifte entfernt und Knorpelknochen transplantiert wurden. Da sich die Schmerzen nach anfänglicher Besserung rasch wieder einstellten, erfolgte nach erfolgloser Schmerztherapie am 29.4.2004 die Implantation einer zementierten unicondylären Schlittenprothese in dem ebenfalls von der Beklagten zu 2) betriebenen St. F Krankenhaus. Auch nach dieser Operation hielten die Schmerzen an. Am 4.7.2005 erfolgte ein Wechsel der Schlittenprothese zu einer bikondylären Oberflächenprothese. Es schloss sich eine ambulante Reha in C an. Die Beschwerdesymptomatik besserte sich in der Folgezeit nicht.
Am 22.3.2006 erfolgte eine Revision des rechten Kniegelenks mit Femurkomponentenwechsel im St. G Krankenhaus in L. Im Jahr 2007 fand eine weitere Revisionsoperation statt, bei der eine knorpelhaltige Geschwulst unklarer Genese im vorderen Teil des Knies entfernt wurde. Im Juli 2012 wurde bei anhaltender Beschwerdesymptomatik schließlich eine achsgeführte Prothese eingesetzt.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld wegen mehrfacher fehlerhafter ärztlicher Behandlung zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 30.000 EUR nebst 8 % Zinsen seit dem 9.12.2009;
2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie weitere 1.690 EUR nebst 8 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
3. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihr sämtliche materiellen und sämtlich weitere zukünftige immaterielle Schäden, die ihr aus der dortigen fehlerhaften Behandlung entstanden sind, derzeit entstehen und in Zukunft entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des streitigen Vorbringens der Parte...