Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Haftung für psychischen Gesundheitsschaden mangels Vorhersehbarkeit
Leitsatz (amtlich)
Stellt sich ein psychisch vermittelter Gesundheitsschaden (zur Dienstunfähigkeit einer Lehrerin führende Anpassungsstörung) nicht als Folge einer Primärverletzung, sondern als haftungsbegründender Gesundheitsschaden dar, ist dieser haftungsrechtlich im Rahmen des Verschuldens nur zurechenbar, wenn er nach objektivem Maßstab, der sich grundsätzlich an der Erfahrung des täglichen Lebens orientiert, vorhersehbar ist.
Normenkette
BGB § 823
Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 23.02.2006; Aktenzeichen 10 O 257/04) |
Tenor
Die Berufung des klagenden Landes gegen das Urteil des LG Aachen vom 23.2.2006 (10 O 257/04) wird zurückgewiesen.
Das klagende Land trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das klagende Land kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I. Das klagende Land verlangt von der Beklagten Schadensersatz nach einem Angriff der Beklagten auf die in Diensten des klagenden Landes stehende Lehrerin K. I.. Die Beklagte griff am 3.12.2002 in der Gemeinschaftshauptschule F. Stadtmitte die Lehrerin K. I. tätlich an; die Einzelheiten dieses Angriffs sind streitig. Frau I. begab sich in der Folge in ärztliche und psychotherapeutische Behandlung. Ihr wurden eine posttraumatische Belastungsstörung und dauernde Dienstunfähigkeit attestiert; seit Oktober 2003 ist sie dauerhaft dienstunfähig. Die Parteien streiten darum, ob eine etwaige Erkrankung der Frau I. auf den Vorfall vom 3.12.2002 zurückzuführen ist und die Beklagte für die Folgen einzustehen hat. Zur Frage der Kausalität des Angriffs der Beklagten vom 3.12.2002 für die Dienstunfähigkeit der Frau I. hat das LG Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Das LG hat die auf Erstattung der vom klagenden Land an Frau I. gezahlten Dienst- und Versorgungsbezüge sowie erstatteter Heilbehandlungskosten gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der notwendige Ursachenzusammenhang zwischen dem Angriff der Beklagten und der - anderweitig bereits bindend festgestellten - Dienstunfähigkeit der Lehrerin habe sich nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststellen lassen, nachdem die hierzu angehörte Sachverständige lediglich von einem wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang ausgegangen sei und ihre Ausführungen auch auf Vorhalt der "conditio-sine-qua-non"-Formel nicht habe präzisieren können.
Mit seiner Berufung wendet sich das klagende Land dagegen, dass das LG einen Ursachenzusammenhang nicht festzustellen vermocht hat. Das LG habe insoweit die an die richterliche Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen überspannt; die Ausführungen der Sachverständigen, die keinen Hinweis auf andere Ursachen der Dienstunfähigkeit gefunden und den Ursachenzusammenhang ausdrücklich als plausibel und wahrscheinlich bezeichnet habe, hätten ausreichen müssen, um die Überzeugung von dem erforderlichen Ursachenzusammenhang zu vermitteln.
Das klagende Land beantragt, das Urteil des LG Aachen - 10 O 257/04 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an das klagende Land 74.596,91 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen; festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die auf das klagende Land auf Grund des Vorfalls vom 03. Dezember 2002 ab 01. Oktober 2004 übergegangenen Ansprüche der am 11. August 1943 geborenen K. I. zu erfüllen und auf die vom klagenden Land an K. I. gezahlten Beträge ab dem Tag der Auszahlung Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Der Senat hat Beweis erhoben über die Frage der Vorhersehbarkeit der bei Frau K. I. diagnostizierten Anpassungsstörung mit depressiver Verstimmung durch mündliche Anhörung der Sachverständigen Dr. L.-S.. Wegen des Ergebnisses dieser Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 7.11.2006 Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet; im Ergebnis hat das LG einen Schadensersatzanspruch des klagenden Landes mit Recht verneint.
Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch des klagenden Landes kann sich hier nur aus gem. § 99 LBG NW übergeleitetem Recht der Frau I. ergeben. Ein entsprechender Schadensersatzanspruch der Frau I. ist jedoch nicht gegeben, weil sich ein Verschulden der Beklagten in Bezug auf die zur Dienstunfähigkeit führende psychische Erkrankung der Frau I. nicht feststellen lässt.
1. Der Senat...