Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Aufklärung über Behandlungsalternativen bei "non-respondern"
Leitsatz (amtlich)
Ist eine bestimmte Form der Therapie (hier: einer Operation vorgehende Bestrahlung und Chemotherapie bei Darmkrebs) nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft im Hinblick auf Chancen und Risiken einer anderen Methode (hier: Bestrahlung und Chemotherapie vor Operation) für die allermeisten Patienten überlegen, so wird die andere Methode nicht dadurch zur aufklärungspflichtigen Behandlungsalternative, dass einige Patienten auf die übliche Therapie nicht ansprechen (sog. "non-responder"), was sich allerdings erst ex post feststellen lässt, und diese Patienten möglicherweise von der anderen Methode deutlich mehr profitiert hätten.
Normenkette
BGB §§ 280, 611, 823
Verfahrensgang
LG Aachen (Aktenzeichen 11 O 229/14) |
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das am 22.6.2016 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 O 229/14 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 32 % dem Kläger zu 1), zu 45 % dem Kläger zu 2) und zu weiteren 23 % den Klägern als Gesamtschuldnern auferlegt.
Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die am 19.11.1947 geborene Ehefrau des Klägers zu 1) und Mutter der Kläger zu 2) und 3) (im Folgenden: Patientin) litt im Dezember 2009 unter Stuhlunregelmäßigkeiten und Bauchschmerzen. Die am 6.1.2010 durch Dr. M durchgeführte Koloskopie ergab den Befund eines Rektumkarzinoms. Der Tumor begann 10 cm hinter der Linea dentata und endete in einer Höhe von 15 cm. Nach dem Ergebnis der histologischen Untersuchung handelte es sich um ein schlecht differenziertes Adenokarzinom.
Am 12.1.2010 stellte sich die Patientin im Krankenhaus der Beklagten zu 1) in der viszeralchirurgischen Sprechstunde bei dem Beklagten zu 2) vor. Während des stationären Aufenthalts vom 13.1.2010 bis 14.1.2010 erfolgte eine Staging-Untersuchung. Es ergab sich die Tumorformel uT3, uN0, G3. Metastasen wurden nicht nachgewiesen. Die Beklagten empfahlen eine neoadjuvante Radiochemotherapie mit anschließender Entfernung des Tumors. Die neoadjuvante Behandlung erfolgte im Februar und März 2010 in der Klinik für Strahlentherapie des Universitätsklinikums B und in einer onkologischen Gemeinschaftspraxis.
Am 4.5.2010 wurde die Patientin zum Restaging und zur operativen Versorgung im Krankenhaus der Beklagten zu 1) aufgenommen. Eine Computertomografie zeigte trotz der neadjuvanten Radiochemotherapie eine Progredienz des Rektumkarzinoms und ergab den Verdacht von peritonealen Metastasen und von Lebermetastasen, der sich in der folgenden Zeit bestätigte. Bei einer partiellen Koloskopie war der Tumor endoskopisch passierbar. Angesichts dieser Befunde empfahlen die Beklagten eine palliative Chemotherapie. Am 6.5.2010 wurde die Patientin entlassen.
Ein im Universitätsklinikum B durchgeführtes PET-CT ergab am 21.5.2010 als weiteren Befund den Verdacht auf Lungenmetastasen. Vom 29.5.2010 bis zum 7.6.2010 und vom 10.6.2010 bis zum 9.7.2010 befand sich die Patientin dort zunächst wegen abdominaler Schmerzen und sodann wegen eines Illeus, der im Dünndarm aufgetreten war, in stationärer Behandlung. Am 11.6.2010 erfolgte die Anlage eines künstlichen Darmausgangs. Nach ihrer Entlassung wurde die Patientin zu Hause gepflegt. Sie verstarb am 25.7.2010 an den Folgen einer Lungenentzündung.
Die Kläger haben die Beklagten als Gesamtgläubiger auf ein ererbtes Schmerzensgeld von mindestens 70.000 EUR in Anspruch genommen. Der Kläger zu 1) hat ferner die Feststellung einer ihm gegenüber bestehenden Ersatzpflicht begehrt. Der Kläger zu 2) hat ebenfalls die Feststellung einer ihm gegenüber bestehenden Ersatzpflicht, ein Schmerzensgeld aus eigenem Recht von mindestens 40.000 EUR und die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten von 4.510,10 EUR verlangt. Gestützt auf ein Gutachten von Prof. Dr. T (Bl. 21 ff. d.A.) und drei Ergänzungen (Bl. 50 ff., 535 ff., 600 ff. d.A.) haben die Kläger den Beklagten vorgeworfen, dass diese im Januar 2010 die indizierte sofortige Resektion des Tumors, während der Dauer der Radiochemotherapie weitere Befunderhebungen und im Mai 2010 eine palliative Operation unterlassen hätten. Über Behandlungsalternativen, insbesondere die Möglichkeit einer sofortigen Entfernung des Tumors, und die Risiken der empfohlenen Therapie sei die Patientin nicht aufgeklärt worden. Der Kläger zu 2) habe infolge der Erkrankung und des Todes seiner Mutter eine schwere reaktive Depression und eine generalisierte Angststörung erlitten.
Die Kläger haben beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Kläger zu 1), 2) und 3) als Gesamtgläubiger ein ang...